Paul VI.
Der hundertste Geburtstag Pauls VI.

"Der Glaube ist das Erbe der Apostel"

Paul VI. und die Verkündigung des Jahres des Glaubens 1967 anläßlich der 1900-Jahrfeier des Martyriums der Apostel Petrus und Paulus in Rom. Dieses entscheidende Jahr schloß mit dem Credo des Gottesvolkes, um "Unsere unerschütterliche Treue zum depositum fidei zu bezeugen". "Wir müssen erkennen, daß unsere Zeit dies unbedingt braucht."

von Gianni Valente

 

     Es gibt Augenblicke, wie Charles Péguy schreibt, in denen alle Masken fallen und nichts mehr die Wirklichkeit verbirgt; sie erscheint uns nackt und bloß, so wie sie wirklich ist. "Dies sind die einzigen Augenblicke des Lebens, in denen man nicht lügt; in denen man überhaupt nichts vortäuscht; in denen man ehrlich ist; buchstäblich, absolut, völlig ehrlich; in denen man das Wahre sieht, mehr als das Wahre, das Reale, wie es ist; in denen uns nichts mehr verborgen ist." Dies sind die Augenblicke, in denen "wir klar sehen, in denen wir klar zu sehen wagen".
     Paul VI. erlebte vor dreißig Jahren einen solchen Augenblick. Er sah die Kirche, die, wie seine erste Enzyklika bezeugt, genau wußte, daß sie einem Anderen, nämlich Christus gehörte (Ecclesiam suam). Er sah all die guten Vorschläge, die arglosen Erwartungen, die Illusionen und das Gerede, die die Kirche in jenen Jahren erschütterten. Er sah das Ende des Christentums: nicht der Strukturen, Versammlungen, des Vatikans, der Pastoralpläne, der unzähligen Versammlungen, die auch weiterhin dem als Choreographie dienen könnten, der kirchliche Ämter anstrebt und religiösen Trost sucht, mit dem er sein Leben füllen kann (und vielleicht macht er dabei auch Karriere). Er sah, wie der Glaube erlosch.

Er sah unsere Zeit gleichsam als langen Karsamstag, als eine Zeit ohne Gott, in der sich auch noch die letzten Jünger traurig und hoffnungslos auf den Heimweg vorbereiten.
     Paul VI. sah all dies und die Tragödie, der die Kirche entgegenging. Wiederholt erinnerte er sie daran, was ihre einzigen Schätze sind: der Glaube der Apostel, den die Tradition bewahrt hat (das Credo des Gottesvolkes), und die Armen, die Völker, die Hunger leiden (Populorum progressio) und die als erste zur Freude des Glaubens gerufen sind. Er wiederholte den überlieferten Glauben, denn ein Papst kann und darf letztlich nichts anderes tun.
     Am 22. Februar 1967 rief Papst Paul VI. mit dem Apostolischen Schreiben Petrum et Paulum apostolos ein besonderes Jubeljahr aus: das Jahr des Glaubens. 1900 Jahre zuvor hatten die Apostel Petrus und Paulus in Rom das Martyrium erlitten. Wie es in einem Abschnitt aus dem Brief des heiligen Papstes Clemens an die Korinther heißt, den der Papst am Anfang seines Lehrschreibens zitiert, wurden die Apostel "aus Eifersucht und Neid" oder wegen der Bosheit der Christen hingerichtet. Der Papst wünschte sich von der ganzen Kirche für diese Jahrfeier, daß sie des von den beiden Aposteln als Erbe überlieferten Glaubens gedachte und daß sie diese Wirklichkeit des Glaubens, die Zeichen dieser Gegenwart, die vor zweitausend Jahren die armen Fischer und großen Sünder faszinierten und sie ins Herz trafen, zu ihrer eigenen lebendigen Erfahrung machen würde.
     Dieses Jahr - und dies erkennen heute auch die kritischsten Historiker an - stellte eine Gratwanderung und eine "Wende" im Pontifikat Pauls VI. dar. Am Ende dieses Jahres verkündete er auf dem Petersplatz feierlich ein Glaubensbekenntnis, das Credo des Gottesvolkes, mit dem er "Unsere unerschütterliche Treue zum depositum fidei bestätigen" wollte. Die Katholiken der damaligen Zeit nahmen die tragische und prophetische Eingebung des Papstes nicht an. Die Aufgeklärten sagten, es handele sich um übertriebenen Pessimismus. Die Reaktionären meinten, die Reue käme zu spät, da die Katastrophe mit jener konziliaren Erneuerung zusammenhinge, deren Lenker der Papst selbst gewesen war. Der Klerus, gleich welcher Richtung, sah darin die schlichte Wiedervorlage der herkömmlichen Inhalte des katholischen Glaubens, die eine unzureichende Antwort auf die Herausforderungen der Geschichte und auf die Krise der Kirche seien. Ihrer Ansicht nach bedurfte es einer weitreichenderen Strategie: Eine Bewußtseinsbildung wäre nötig gewesen oder anders gesagt, der Glaube hätte zur Kultur werden müssen: um mit der Welt ins Gespräch zu kommen und sich ihr anzupassen, sagten die einen; um gegen die Moderne zu kämpfen und ihre Angriffe abzuwehren, meinten die anderen. So sind das Jahr des Glaubens und das Credo des Gottesvolkes im Strudel des Stillschweigens untergegangen.

Inimici hominis, domestici eius
Paul VI. störte nicht so sehr die Sittenlosigkeit der Welt oder die lautstarke und kämpferische theoretische Ablehnung des Christentums der damaligen Zeit.
     Bereits in den Jahren vor 1967 waren die Ansprachen Pauls VI. von einer ganz anderen Sorge durchzogen: die Kirche wurde nicht vom modernen Atheismus, sondern von ihren eigenen Kindern niedergerissen. Die Krankheit saß in ihrem Innern, es handelte sich um einen cupio dissolvi, der offenbar noch vor dem Volk die Lehrer, Kleriker und kirchlichen Bildungseinrichtungen vergiftet hatte und sie von innen heraus zu einer Entleerung des Wesens und der Methode des christlichen Ereignisses trieb. "Mir liegen die Worte Jesu auf der Zunge: "inimici hominis, domestici eius"", sagte der Papst am 18. September 1968, also nicht einmal drei Monate nach der Verkündigung des Glaubensbekenntnisses. Bereits 1965 äußerte sich der Papst bei der Generalaudienz am 4. August besorgt über "die Stimmen aus den besten Kreisen des Volkes Gottes, wo gewöhnlich die Lehre der Kirche durch eifrige Studien genährt und mit sicheren Überlegungen gepflegt wird", die heute "Irrlehren der Antike und der Moderne wieder aufgreifen, die die Kirche bereits richtiggestellt und verurteilt sowie aus dem Erbe ihrer Wahrheiten ausgeschlossen hatte." In einer Ansprache am 11. Juli 1966 vor einer Gruppe von Theologen und Wissenschaftlern, die sich zur Erörterung neuer Formen der Darlegung des Dogmas von der Erbsünde zusammengefunden hatte, warnte der Papst vor einer Zustimmung zu Formulierungen der Erbsünde, die der Evolutionstheorie untergeordnet sind. Am 30. November beschrieb Paul VI. in seiner Ansprache bei der Generalaudienz "das traurige Phänomen, das die konziliare Erneuerung und den ökumenischen Dialog beeinträchtigt", und erklärt ausführlich, daß die wesentlichen Grundlagen des Christentums ihres Inhalts entleert würden: "die Auferstehung Christi, seine Realpräsens in der Eucharistie, die Jungfräulichkeit der Gottesmutter und demzufolge das erhabene Geheimnis der Menschwerdung." Im Oktober 1966 erschien der von den holländischen Bischöfen gewollte neue Holländische Katechismus, der Prototyp jener nachkonziliaren Katechismen, die das Christentum dem modernen Menschen schmackhaft machen wollten, indem sie die traditionellen Formulierungen durch komplizierte und teilweise doppeldeutige Wendungen ersetzten, die die Wahrheit letztlich verschweigen. Am 17. April 1967 erklärte Paul VI. in seiner Ansprache bei der Versammlung der italienischen Bischöfe, welche Frage vorrangig sei: "Die erste Frage, die Grundfrage, die wir Bischöfe mit dem nötigen Ernst erörtern müssen, ist die Frage des Glaubens. Es ereignet sich etwas sehr Eigenartiges und Schmerzliches [...] auch bei denen, die das Wort Gottes kennen und erforschen, nimmt die Gewißheit über die objektive Wahrheit und die Fähigkeit ab, sie durch menschliches Denken einzuholen. Der Sinn des einzigen und ursprünglichen Glaubens wird verfälscht; Angriffe gegen die grundlegendsten und sakrosankten Wahrheiten unserer Lehre, wie sie das Volk immer geglaubt und bekannt hatte, werden zugelassen [...]."


Die Überlieferung geht uns voraus
Am meisten schmerzte Paul VI., daß das letzte Ökumenische Konzil zu diesem Werk der Selbstzerstörung mißbraucht und als Geburtsstunde eines neuen Christentums und einer neuen Kirche bezeichnet wurde. Genau ein Jahr nach seinem Abschluß (Paul VI. beschloß das Konzil mit seiner Ansprache am 8. Dezember 1965) verurteilte der Papst die falsche Annahme, wonach das Zweite Vatikanische Konzil "einen Bruch mit der traditionellen Lehre und der Disziplin der Kirche vor dem Konzil darstellt". Fast einen Monat zuvor hatte Paul VI. bei der Generalaudienz die Gläubigen aufgefordert, der Versuchung zu widerstehen und nicht zu meinen, "die Neuheiten, die sich aus den Lehren der jüngsten Konzilien ableiten lassen, könnten zu irgendeiner willkürlichen Änderung ermächtigen [...] Man muß vielmehr zutiefst überzeugt sein, daß man die Kirche von gestern nicht zerstören darf, um heute eine neue Kirche zu errichten. Man darf nicht vergessen und anfechten, was die Kirche bisher mit Autorität gelehrt hat, um die sichere Lehre durch neue Theorien und Überzeugungen zu ersetzen".

Am 12. Januar 1966 sagte der Papst: "Die Lehren des Konzils stellen kein organisches System der katholischen Lehre dar", insoweit diese "viel weitreichender ist [...] und vom Konzil nicht in Zweifel gezogen oder grundlegend verändert wird. Im Gegenteil, das Konzil bestätigt, erläutert, verteidigt und entfaltet sie in einer äußerst maßgeblichen Apologie [...] Wer daher meint, das Konzil stelle eine Abkehr, einen Bruch oder, wie einer vielleicht meinen will, eine Befreiung von der traditionellen Lehre der Kirche dar, ist nicht in der Wahrheit."

Der Glaube als
Zustimmung zu einem Zeugnis
Paul VI. wußte nur zu gut, daß es nicht genügte, die Irrtümer in der Lehre zurückzuweisen, die unter den katholischen Führern um sich griffen. Die Verwirrung in der Lehre war Symptom für etwas viel Grundlegenderes: Es schien, daß geradezu überall in der Kirche der Sinn dafür verlorenging, was das Christentum wirklich ist, das Wesen und die Dynamik des christlichen Lebens. Man wußte nicht mehr, worum es eigentlich geht.
     Der Papst entschied sich, den Jahrestag des Martyriums der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu nutzen, um als Antwort auf die schwindelerregende Vergeßlichkeit nach dem konziliaren Brodeln ein Jahr des Glaubens auszurufen.
     In seinem Apostolischen Schreiben Petrum et Paulum apostolos, mit dem er das Jahr des Glaubens verkündete, sind nur wenige und zweitrangige Hinweise auf die Krise in der Lehre zu finden. Der Papst stellte an alle Söhne und Töchter der Kirche nur eine einzige, einfache und minimale Anforderung, nämlich das Glaubensbekenntnis der Apostel Petrus und Paulus zu wiederholen und in diesem Glauben zu verharren. "Wir wollen darüber hinaus eine kleine, aber wichtige Sache verlangen: Wir wollen euch alle, Brüder und Schwestern, Unsere Kinder, vor allem bitten, der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu gedenken. Sie haben den Glauben an Christus mit ihren Worten und durch ihr Blut bezeugt, damit ihr in Wahrheit und Aufrichtigkeit den Glauben bewahrt, den die Kirche, die durch sie gegründet wurde und in herrlichem Glanz erstrahlt, ergeben übernimmt und mit Autorität verkündet. Außerdem gebührt es sicherlich, daß jeder einzelne öffentlich, frei und bewußt, innerlich und äußerlich, demütig und entschieden vor Gott dieses Bekenntnis des Glaubens spricht, den die seligen Apostel bezeugten. Wir möchten darüber hinaus, daß ein solches Bekenntnis des Glaubens aus dem Innern des Herzens eines jeden Menschen entspringt und in einem einzigen, identischen und von überströmender Liebe durchdrungenen Glauben in der ganzen Kirche widerhallt. Denn welchen dankbareren Dienst des Gedächtnisses, der Ehre, der Gemeinschaft können wir Petrus und Paulus erweisen, als die Verkündigung jenes Glaubens, den wir von ihnen sozusagen als Erbe erhalten haben?" Die Wiederholung der Formeln, die den apostolischen Glauben bewahren, war für Paul VI. nicht nur ein Akt der Frömmigkeit, sondern ein der damaligen Zeit wahrhaft angemessenes Zeichen: "Wir dürfen auch nicht im Geringsten übersehen, daß unsere Zeit dies ausdrücklich verlangt."
     In zahlreichen Ansprachen aus dieser Zeit erklärt und kommentiert der Papst, warum er dieses Jahr des Glaubens der Apostel Petrus und Paulus ausgerufen hat. Bei der Generalaudienz am 1. März 1967, wenige Tage vor dem Erscheinen des Apostolischen Schreibens, erklärte Paul VI.: "Uns scheint, daß dieses Thema uns den sichersten und direktesten Draht bietet, um geistig mit den großen Aposteln zu verkehren; sie selbst haben uns dazu eindringlich ermahnt; der heilige Petrus sagt zum Beispiel in seinem ersten Brief an die ersten Christen, daß Gottes Macht "euch durch den Glauben" behütet "damit ihr das Heil erlangt"", und auch Paulus "ist ganz um die Unversehrtheit und die Bewahrung des Glaubens" besorgt und spricht wiederholt die Mahnung aus, jeden Irrtum zu vermeiden und zurückzuweisen, damit das "depositum bewahrt wird". [...] Wenn wir dem Glauben zustimmen, den die Kirche uns vorlegt, treten wir unmittelbar mit den Aposteln in Verbindung, deren Gedächtnis wir begehen wollen, und durch sie mit Jesus Christus, dem ersten und einzigen Meister; wir begeben uns in ihre Schule, überwinden den Abstand der Jahrhunderte, die uns von ihnen trennen, und machen aus dem jetzigen Augenblick eine lebendige Geschichte, die immer gleiche und der Kirche eigentümliche Geschichte." Der Glaube, erklärte der Papst in der gleichen Ansprache und griff dabei auf die Definition des Konzils von Trient zurück, "ist für den Menschen der Anfang seines Heils ("humanae salutis initium est")".
     Auch bei der folgenden Generalaudienz am 19. April erklärte der Papst ausführlich, was der christliche Glaube ist, und unterschied ihn von der gemeinhin vollzogenen Identifizierung mit "dem religiösen Empfinden, dem vagen und allgemeinen Glauben an die Existenz Gottes". Der Glaube, sagte Paul VI., ist "die Zustimmung des Geistes, des Verstandes und des Willens, zu einer Wahrheit", die sich "durch die transzendente Autorität eines Zeugnisses [rechtfertigt], dem zu glauben nicht nur vernünftig ist, sondern zuinnerst logisch aufgrund einer eigenartigen und vitalen Überzeugungskraft, so daß der Glaubensakt äußerst personal ist und zufriedenstellt". Der Glaube ist daher "eine Tugend, die ihre Wurzeln zwar in der menschlichen Psyche hat, ihre Gültigkeit aber ableitet aus einem geheimnisvollen, übernatürlichen Wirken des Heiligen Geistes, der uns gewöhnlich in der Taufe eingegossenen Gnade". Er "ist jene geistige Fähigkeit, mit der wir die Wahrheiten, die das Wort Gottes uns offenbart hat, als der Wirklichkeit entsprechende aufnehmen. Und deshalb ist der Glaube ein Akt, der auf dem Vertrauen gründet, das wir dem lebendigen Gott entgegenbringen".
     Das Jahr des Glaubens wurde am Abend des 29. Juni 1967, dem Hochfest der heiligen Petrus und Paulus, feierlich auf dem Petersplatz eröffnet. In seiner Predigt bekräftigte der Heilige Vater, daß "das soeben gefeierte Ökumenische Konzil uns ermahnt hat, zu den Quellen der Kirche zurückzukehren und im Glauben ihren konstitutiven Anfang zu erkennen, die Voraussetzung für jeden Zuwachs, die Grundlage für ihre innere Sicherheit und die Kraft für ihre äußere Vitalität". Einige Tage später sprach der Papst vor Pilgern bei der Audienz am 5. Juli erneut über den Glauben: "Der Glaube ist das Erbe der Apostelfürsten. Er ist das Geschenk ihres Apostolats, ihrer Liebe. [...] Die Tatsache, daß sie mit den anderen Aposteln und beauftragten Verkündern des Evangeliums die Mittler zwischen uns und Christus sind, kennzeichnet das Christentum in grundlegender Weise und schafft ein unumgängliches System von Beziehungen in der Gemeinschaft der Gläubigen.[...] Der Apostel ist Lehrer; er ist nicht einfach das Echo des religiösen Bewußtseins der Gemeinde; er ist nicht Ausdruck der Meinung der Gläubigen, sozusagen die Stimme, die sie ausführt und beglaubigt, Wie die Modernisten sagen und noch heute einige Theologen zu behaupten wagen. Die Stimme des Apostels erzeugt den Glauben. [...] Die sich von Christus ableitende religiöse Wahrheit verbreitet sich nicht unkontrolliert und unverantwortlich in den Menschen; sie benötigt einen äußeren und sozialen Kanal."


Der Osten der großen Konzilien
Die Reise in die Türkei, die der Papst vom 25. bis 26. Juli 1967 unternahm, entsprach ganz der Intention des Jahrs des Glaubens: sie war ein weiterer Schritt auf den Spuren des apostolischen Gedächtnisses. Der Papst kreuzte die Wege, die Paulus auf seinen Missionsreisen enlanggezogen war. Wie Paul VI. in Ephesus in der Johanneskirche sagte, gründete der Apostel "die ersten christlichen Gemeinden unter manchmal dramatischen Gefahren, von denen die Apostelgeschichte berichtet". Den roten Faden der Reise bildete aber der Besuch der Orte, wo die ersten großen Konzilien stattfanden. Sie hatten den apostolischen Glauben definiert und bewahrt, indem sie ihn gegen die antiken Irrlehren abgrenzten. Nach seiner Rückkehr nach Rom verkündete der Papst beim Angelus am 2. August feierlich den Vorrang der ersten vier Ökumenischen Konzilien (Nizäa, Konstantinopel, Ephesus, Chalcedon). Damit rückte Paul VI. indirekt das letzte Ökumenische Konzil wieder ins rechte Licht, dem einige eine herausragende Bedeutung beimessen wollten, indem sie es als Stunde Null der Kirche feierten. "Den vier Konzilien", sagte der Papst, "gebührte und gebührt große Verehrung. Sie haben der Kirche nach den ersten Jahrhunderten der Verfolgung und des Untergrunds ein konstitutionelles und einheitliches Gefüge verliehen.

Sie betonten und definierten die grundlegenden Dogmen unseres Glaubens über die Heiligste Dreifaltigkeit, Jesus Christus und die Gottesmutter: sie legten das doktrinelle Fundament des christlichen Glaubens." Die Verehrung der ersten vier Ökumenischen Konzilien war auch Hintergrund für die Bekräftigung der Glaubensgemeinschaft mit den orthodoxen Christen in den grundlegenden Dogmen. Papst Paul VI. hob die gegenseitige Exkommunikation zwischen Rom und Konstantinopel auf und kniete nieder, um die Füße des orthodoxen Bischofs Meliton von Chalcedon zu küssen. Bei den Treffen mit dem Patriarchen Athenagoras und den orthodoxen Gläubigen von Ephesus wiederholte Paul VI., daß "man in der Tat "nichts Unnötiges auferlegen darf, um die Gemeinschaft und Einheit wiederherzustellen und zu bewahren". "Die Liebe", sagte er zu Athenagoras und den Metropoliten des ökumenischen Patriarchats in der Kathedrale des heiligen Georg, "muß uns helfen, wie sie den heiligen Hilarius und Athanasius geholfen hat. Trotz der sprachlichen Unterschiede haben sie die Identität des Glaubens in einem Augenblick erkannt, da ernste Divergenzen den Episkopat spalteten. [...] Und legte der heilige Cyrill von Alexandrien nicht seine so schöne Theologie beiseite, um mit Johannes von Antiochia Frieden zu schließen, nachdem er sich vergewissert hatte, daß trotz unterschiedlicher Wendungen ihr Glaube derselbe war?"

Die menschlichen und materiellen
Anhaltspunkte für das Gedächtnis

Am Ende des Jahres des Glaubens verärgerte Paul VI. mit zwei aufsehenerregenden Gesten den Klerus. Am 26. Juni 1968 verkündete er in einer Ansprache im Petersdom die Echtheit der Reliquien des heiligen Petrus, die zwischen 1940 und 1950 bei Grabungen unter dem Petersdom aufgefunden worden waren. "Die geschichtlichen und konkreten Spuren, die sie hinterlassen haben", sagte der Papst, "haben diese starken Empfindungen geweckt und erregt. Diese menschlichen und materiellen Anhaltspunkte für das Gedächtnis der Apostel, "per quos religionis sumpsit exordium", durch die unser religiöses Leben begonnen hat, dürfen von uns Römern und von allen, die die Stadt betreten, nicht vernachlässigt werden." Das Ergebnis der Untersuchungen über die Knochenstücke, die in der Grabanlage unter dem Petersdom gefunden worden waren, wurde mit zurückhaltender Begeisterung verkündet: "Neue geduldige und sehr gründliche Untersuchungen wurden daraufhin durchgeführt, deren Ergebnis Wir, bestärkt durch das Urteil von bewährten und umsichtigen Fachleuten, für positiv erachten: Auch die Reliquien des heiligen Petrus sind in einer Weise identifiziert, daß Wir sie für echt halten dürfen. Unser Lob gilt dem, der lange, aufmerksame Studien und viel Mühe dafür verwendet hat."
     Am 30. Juni 1968 schloß der Papst mit einem feierlichen Hochamt und jenem Glaubensbekenntnis das Jahr des Glaubens, das er als Credo des Gottesvolkes bezeichnete. Es bildete den Höhepunkt des Jahres, das "Wir dem Gedächtnis der heiligen Apostel gewidmet haben". Wie der Papst in seiner Predigt erklärte, "haben wir damit Unsere unerschütterliche Treue zum depositum fidei bekundet, das sie uns überliefert haben, und unseren Wunsch bekräftigt, es in der geschichtlichen Situation der pilgernden Kirche in der Welt zur Lebensgrundlage zu machen." Paul VI. wollte mit diesem Bekenntnis den Auftrag erfüllen, "den Christus Petrus übertragen hat, die Brüder im Glauben zu stärken. Wir sind sein Nachfolger, wenn auch dem Rang nach der geringste". Das neue Credo "greift im wesentlichen das Credo von Nizäa auf, ohne eine dogmatische Definition im eigentlichen Sinn zu sein, jedoch mit einigen Entfaltungen, die die geistige Situation unserer Zeit auferlegt". Beim Sprechen des Credos des Gottesvolkes erklärt Paul VI., habe er die "Besorgnis" vor Augen, "die einige moderne Kreise bewegt" sowie "die Leidenschaft für eine Veränderung und Erneuerung", die viele Katholiken erfaßt hat: "Man muß daher höchste Vorsicht walten lassen, um die Aussagen der christlichen Lehre nicht anzugreifen. Denn dies würde in vielen treuen Seelen eine allgemeine Verwirrung und Perplexität auslösen - wie es heute leider nur allzuoft geschieht."

Ein Papst in schwierigen Zeiten
Wie Carlo Falconi, Wortführer unter den Vatikanberichterstattern der damaligen Zeit, in seinem Buch La svolta di Paolo VI (Die Wende Pauls VI.) schreibt, "ist der ungeheuerliche Strudel des Stillschweigens, in dem die Verkündigung des neuen Credos untergegangen ist, dramatisch und beängstigend. Die ganze Kampagne der vatikanischen Tageszeitung, um eine rührende und anerkennende Zustimmung vorzutäuschen, hat sich in Nichts aufgelöst. Wäre da nicht unmittelbar danach die Veröffentlichung der Enzyklika Humanae vitae gewesen, die eine ganz offene Reaktion dem Papst gegenüber ausgelöst hat, hätte die Verlegenheit jenes Stillschweigens aus Protest die Grenze des Unerträglichen erreicht."
     Außer einigen wenigen Ausnahmen ließ das ganze katholische Establishment die scharfe Sicht der Lage der Kirche in der Welt, wie sie sich im Jahr des Glaubens und im Credo des Gottesvolkes äußerte, einfach verpuffen. Für Theologen und Intellektuelle handelte es sich nur um "frommes Getue". Zu Beginn des Jahrs des Glaubens behauptete der holländische Theologe Edward Schillebeeckx in einem Kommentar zur Initiative Pauls VI., die Krise, die der christliche Glaube durchmache, sei "eine Wachstumskrise".

Sein deutscher Kollege Karl Rahner spottete über die Möglichkeit, nach einem Jahr der Geophysik nun ein Jahr des Glaubens auszurufen, und erklärte: "Alles hängt von einer gründlichen Reflexion ab, um dieses Verständnis [das christliche] dem zeitgenössischen Denken glaubhaft zu machen." Alle meinten letztlich, die Rückkehr zur Tradition, die einfache Wiederholung der Lehre der Apostel und das Verharren in dieser Lehre, die der Papst verlangte, seien unzureichend. Die Verschwörung gegen Paul VI., die sich im Stillschweigen über das Jahr des Glaubens und das Credo des Gottesvolkes äußerte, zeigte, worin der eigentliche Grund für das Unverständnis, der stummen Feindseligkeit und des immer häufigeren Widerspruchs gegenüber dem Papst innerhalb der Kirche zu suchen ist.
     Die Vorstellung, daß das montinische Pontifikat seit 1967/68 einen Rückschritt darstellte und die anfänglichen Hoffnungen zerstörte, war in der klerikalen Intelligenz so weit verbreitet, daß ein offizieller Berichterstatter, der Historiker Franco Bolgiani, Mitte der siebziger Jahre bei einem kirchlichen Treffen über Evangelisierung und menschliche Entwicklung vor allen höheren Vertretern der italienischen Kirche davon sprach.
     Am 29. Juni 1972 räumte der Papst in seiner Predigt zum Hochfest der Apostel Petrus und Paulus ein: "Wir glaubten, daß nach dem Konzil ein strahlender Tag für die Kirche anbrechen würde. Es kam aber ein Tag der Wolken und Stürme, der Nacht, der Suche und Unsicherheit, man gab sich Mühe, der Gemeinschaft Freude zu verleihen."
     In jener Zeit besaßen nur wenige den Mut, ihre Ehrfurcht und Solidarität gegenüber einem Papst zu bekunden, der auch bei kirchlichen Treffen belächelt wurde. Zu ihnen gehörte der Patriarch von Venedig, Albino Luciani. In seinem Vortrag am 18. September 1977 beim nationalen eucharistischen Kongreß in Pescara bezog er leidenschaftlich Stellung und erklärte ausdrücklich seine Verbundenheit mit dem großen Papst in so schwierigen Zeiten: "Der Petrus, den wir im Evangelium gehört haben, lebt heute in seinem Nachfolger, in der Person Pauls VI. Es gibt aber zwei Pauls VI.: den, den wir gestern abend hier in Pescara gesehen haben und wie er bei den General- und Privataudienzen zu sehen und zu hören ist, und den Papst, wie ihn einige Bücher und Zeitschriften auf ihre Weise beschreiben, wobei sie Dinge erfinden und verdrehen. Wahr und echt ist nur der erste: der große Papst, der in schwierigen Zeiten eine hohe Sendung zu erfüllen hat."