EDITORIAL |
Jesu Land
Bei der
jüngsten Studientagung über das Antlitz Jesu, die Kardinal Fiorenzo Angelini sachlich
und erfolgreich veranstaltete, hielt ich es für nützlich - neben den qualifizierten
theologischen, mystischen, künstlerischen und geschichtlichen Vorträgen - die
Aufmerksamkeit auf die gegenwärtige Lage jenes Landes zu lenken, in dem vor zweitausend
Jahren der sichtbare Gott nach seinem großen Plan der Erlösung lebte.
Liest
oder hört man heute die Nachrichten von den Ereignissen im Nahen Osten und insbesondere
im Heiligen Land, so denkt man ganz spontan an Jesus, wie er über die Stadt Jerusalem
weinte, über jenen Ort, wo ihm die Menge das Hosanna zurief.
Im
Lukasevangelium (19,41-44) heißt es wörtlich: Als er näher kam und die Stadt sah,
weinte er über sie und sagte: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir
Frieden bringt. Jetzt aber bleibt es vor deinen Augen verborgen. Es wird eine Zeit für
dich kommen, in der deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen
und von allen Seiten bedrängen. Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen
Stein auf dem anderen lassen; denn du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt."
Ich hielt es für nützlich, die Aufmerksamkeit auf die gegenwärtige Lage jenes Landes zu lenken, in dem vor zweitausend Jahren der sichtbare Gott nach seinem großen Plan der Erlösung lebte. Liest oder hört man heute die Nachrichten von den Ereignissen im Nahen Osten und insbesondere im Heiligen Land, so denkt man ganz spontan an Jesus, wie er über die Stadt Jerusalem weinte, über jenen Ort, wo ihm die Menge das Hosanna zurief. |
Vor
fünfzig Jahren, als der Krieg mit dem tragischen Abwurf der Atombomben zu Ende ging, war
die Menschheit von der erschreckenden Bilanz der Opfer und der Zerstörung noch ganz
benommen, die vielleicht wie nie zuvor in der Geschichte den grauenvollen Abschnitt aus
der Geheimen Offenbarung (6,3-4) in Erinnerung rief: Da erschien ein anderes Pferd;
das war feuerrot. Und der, der auf ihm saß, wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu
nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes
Schwert gegeben."
Bei der
Sorge um den Wiederaufbau und die Entschädigung gewährte man den Juden, den Opfern des
unglaublichen Holocausts, der sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern das Leben
gekostet hatte, spontan den gebührenden Vorrang.
Die
Organisation der Vereinten Nationen - die jene Gesellschaft der Nationen ersetzte, deren
Gründung an der fehlenden Ratifizierung durch den amerikanischen Senat scheiterte - rief
so im Jahr 1948 den Staat Israel ins Leben und beschloß zugleich die Errichtung eines
arabischen Staates, was allerdings im Unterschied zum ersten Beschluß bloße Theorie
blieb.
Das
Christologieseminar war gewiß nicht der Ort, um den Grund oder die Gründe für die
allgemeine Ablehnung des israelischen Staates durch die arabischen Staaten eingehend zu
behandeln - ganz abgesehen von den objektiven Schwierigkeiten, die dies bereiten würde.
Tatsache ist jedenfalls, daß die arabische Welt darin einen starken Zusammenhalt
erfährt, der eine noch größere Intensität erreicht, wenn das andere Gerinnsel abnimmt,
das in der Unterstützung der Unabhängigkeit Algeriens besteht. Der Griff zu den Waffen
führte zu keinem Ergebnis und provozierte Israel nur zur Besetzung der arabischen
Gebiete, deren Rückgabe die UNO vergeblich mehrmals verlangte.
Gegenseitiges
Mißtrauen und völlige Gesprächsunfähigkeit haben lange Zeit jeden Fortschritt
verhindert. Mit dem mutigen Abkommen von Camp David, das Sadat und Begin auf Anregung des
amerikanischen Präsidenten Carter unterzeichnet haben, löste Ägypten die israelische
Isolation auf. Dies schuf aber eine Front der Ablehnung, die die Lage nur noch mehr
verhärtete.
Das
Problem schien unlösbar, nicht zuletzt wegen des Baus neuer jüdischer Siedlungen in den
besetzten Gebieten, der zum Teil zu den Siedlungsprogrammen für die neuen Einwanderer
gehört, die weiterhin aus vielen Ländern (seit Aufhebung des Verbots ganz massiv aus
Rußland) nach Israel strömen. Die Einwohnerzahl des Staates, die in den sechziger Jahren
knapp über zwei Millionen betrug, liegt heute bei über fünfeinhalb Millionen. Nach
offiziellen Statistiken sind 81 Prozent davon Juden, 14,5 Prozent Moslems, 2,8 Prozent
Christen und 1,7 Prozent Drusen oder anderen Konfessionen zugehörig.
Die Grabeskirche in Jerusalem. |
Daneben
sind aber auch die Daten über die Herkunft bedeutsam: 58 Prozent stammen aus Europa, 18
Prozent aus Afrika, 15 Prozent aus Asien und 8 Prozent aus Amerika und Ozeanien (bei einem
Prozent ist die Herkunft unbekannt).
Den
radikalen Widerstand beider Seiten gegen jeglichen Dialog zu überwinden, war nicht
leicht. Auf der einen Seite betrachtete man die Palästinensische Befreiungsfront (PLO)
nur als Terrororganisation: Die PLO lehnt in ihrem Statut nicht nur Israels Rechte auf
Sicherheit ab, sondern sogar schlicht und einfach seine Daseinsberechtigung.
Italien
reagierte auf die Tolerierung dieser Divergenz, die die Zeit allein nicht wieder ins Lot
hätte bringen können, da sie sich tagtäglich beängstigend vergrößerte. Im Rahmen der
Europäischen Gemeinschaft legte Minister Colombo zusammen mit dem deutschen
Außenminister Genscher 1980 die Erklärung von Venedig vor. Im September 1982 prüften
wir, ob Arafat zu einem Entspannungsversuch bereit wäre, und luden ihn nach Rom ein. Er
sollte seine Bereitschaft öffentlich vor allen Vertretern aus hundert Nationen bekunden,
die damals zur Konferenz der Interparlamentarischen Union versammelt waren.
Wir
ließen uns nicht davon entmutigen, daß die Botschaft nicht sofort aufgenommen wurde,
sondern im Gegenteil scharfe Kommentare und heftige Kritik auslöste. Die
Palästinensische Autonomiebehörde suchte, wenn auch unter Mühen, weiter nach einem
Verhandlungsweg und formalisierte diesen Fortschritt auch bei einer Nationalversammlung in
Algier. Arafat bat um die Möglichkeit, der UNO diese Entwicklung darzulegen, und sie
wurde ihm gewährt. Um sie aber wahrzunehmen, mußte die Versammlung von New York nach
Genf verlegt werden, da die Vereinigten Staaten (und sie waren nicht die einzigen) dem
Palästinenserführer das Einreisevisum verweigert hatten. Die Israelis hielten diesen
Possibilismus, obwohl sie die gute Absicht dessen nicht ganz abstritten, der wie ich ihn
verfolgte, für illusorisch und gefährlich.
Die Nationenkirche am Fuße des Ölbergs vor den Toren Jerusalems. |
Daß
sich im Rahmen der erst diplomatischen und dann militärischen Reaktion auf die irakische
Invasion in Kuwait aufgrund einer unausweichlichen Solidarität zwischen Israel und der
arabischen Welt eine Lösung abzeichnete, ist historisch richtig. Die PLO hatte sich
eigentlich auf einen falschen Standpunkt gestellt und die UNO gebeten, sie solle ihre
Frage vorrangig behandeln. Präsident Bush übernahm seinerseits feierlich die
Verpflichtung, die Palästinenserfrage sofort zu behandeln, nachdem Kuwait wieder seine
Souveränität erlangt hätte.
Und so
führten die sehr diskret und gut geführten Vermittlungen der norwegischen Regierung zu
jenem historischen Treffen zwischen Rabin und Arafat im Garten des Weißen Hauses.
Ich
wiederhole: Es war ein historisches Ereignis. Es wurde auch psychisch gesehen möglich
nach dem harten Vorgehen gegen die Intifada, das viele, die zuvor jede Verhandlung
abgelehnt hatten, betroffen gemacht und ihnen die Augen geöffnet hatte. Gewisse
Fernsehbilder führten vor allem in Amerika zu einer wahren Kehrtwendung. Dann aber
verfiel man einer neuen, anderen Illusion. Wie zuvor viele irrigerweise meinten, sie
könnten auf unbestimmte Zeit auf dem Negativen beharren, so dachte man nun, alles wäre
gelöst, und der Terminkalender des Friedensprozesses sei nur noch eine reine Formalität.
Leider war dem aber nicht so. Auf diesem Weg taten sich immer wieder voraussehbare oder
neue Hindernisse auf. Erschwerend kamen blinde Gewaltakte dessen hinzu, der sich mit dem
friedlichen Zusammenleben nicht zufrieden gibt. Der Weg vom Blutbad in Hebron bis zur
Ermordung Rabins und darüber hinaus ist zwar schmerzlich, er darf aber nicht das
Vertrauen nehmen, daß am Ende doch die Vernunft siegen wird.
Zur
Überwindung der Vorurteile und Barrieren, die den Dialog unmöglich machten, hat
sicherlich die Politik des Heiligen Stuhls beigetragen. Ja, wir können unter Bezugnahme
auf das Konzil und auf die Auslassung gewisser liturgischer Texte sagen: die Haltung der
katholischen Kirche.
Ob sich die Jerusalemfrage aus dem allgemeinen Kontext herauslösen läßt oder nicht und ob sie nur die Krönung des Friedensprozesses darstellt, ist dem Denken des einzelnen überlassen. Auch weil - wie der Bürgermeister von Betlehem in Rom erklärte - die praktische Isolierung seiner Stadt zum Beispiel ebenso besorgniserregend |
Nach
den Zeiten des verstohlenen Mißmuts über die Audienzen, die Arafat gewährt wurden, und
über die Leiden der Palästinenser gelangte man vor drei Jahren zur Aufnahme
diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel. Bei der
Akkreditierung des ersten Botschafters, Shimuel Adras, konnte der Papst sagen: Der
Dialog zwischen den Völkern des Mittelmeeres ist keine Utopie mehr. Er ist ein langer
Weg, der mit der Kühnheit des Friedens zu beschreiten ist." Und wenn der Vatikan
eindeutig den Wunsch nach einem besonderen Status von Jerusalem äußert, der
international garantiert sein und die Gewissens- und Religionsfreiheit für alle Einwohner
sowie den freien Zugang zu den heiligen Stätten für die Gläubigen jeder Religion und
Nationalität vorsehen soll, dann stellt dies - abgesehen von einigen unerschütterlichen
Extremisten - kein Grund mehr für gereizte Polemik dar. Ob sich die Jerusalemfrage aus
dem allgemeinen Kontext herauslösen läßt oder nicht und ob sie nur die Krönung des
Friedensprozesses darstellt, ist dem Denken des einzelnen überlassen. Auch weil - wie der
Bürgermeister von Betlehem in Rom erklärte - die praktische Isolierung seiner Stadt zum
Beispiel ebenso besorgniserregend ist. Bei der Audienz, die ihm in Castelgandolfo zusammen
mit den Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde am 22. September gewährt
wurde, sagte der Papst: Gott selbst verlangt von jedem den Mut zur
Geschwisterlichkeit, zum Dialog, zur Beharrlichkeit und zum Frieden."
Im
übrigen scheint die Gleichzeitigkeit der Schlußverträge für die ganze Region ein
weises und kluges Ziel zu sein, dessen Fehlen vielleicht ein Grund für die
Schwierigkeiten bei der Durchführung des allgemeinen Plans war. Die Forderung des
syrischen Präsidenten Assad schlug die separaten Abkommen zwischen Israel und Jordanien
und Israel und der PLO völlig in den Wind. Wer meint, er könne eine Lösung für die
Frage der Golanhöhen finden, indem er sie aus dem allgemeinen Rahmen herausreißt, irrt
meines Erachtens oder ist zumindest nicht konstruktiv.
ist. Bei der Audienz, die ihm in Castelgandolfo zusammen mit den Vertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde am 22. September gewährt wurde, sagte der Papst: Gott selbst verlangt von jedem den Mut zur Geschwisterlichkeit, zum Dialog, zur Beharrlichkeit und zum Frieden." |
Mit
großem Fingerspitzengefühl, aber trotzdem eindeutig ließ dies der Papst meiner Ansicht
nach in seinen Ansprachen während seines bedeutenden Besuchs im leidgeplagten Libanon
durchblicken.
Wir
wissen nur allzu gut, wie schwierig es ist, diese Verflechtung von Gegensätzen und
Unterschieden, die der ganzen Problematik zugrunde liegen, zu entwirren, und wie wertvoll
auch die Bemühungen sind, die man parallel auf religiöser Ebene im sogenannten Trialog
zwischen Christentum, Judentum und Islam zu unternehmen versucht.
Es ist
nicht schwierig, eine Ähnlichkeit der gegenwärtigen Verhältnisse mit einem Abschnitt
aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser zu erkennen, der hier an diese Stelle
ganz gut paßt: Damals wart ihr von Christus getrennt, der Gemeinde Israels fremd
und von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen; ihr hattet keine Hoffnung und lebtet ohne
Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus
Jesus, nämlich durch sein Blut, in die Nähe gekommen. Denn er ist unser Friede. Er
vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riß durch sein Sterben die trennende
Wand der Feindschaft nieder" (Eph 2, 12-14).
Mit den
notwendigen Ergänzungen ist dies die Leitlinie, an die sich jene Völker letztlich eines
Tages halten werden müssen.
Es sei
daher erlaubt, wider alle Hoffnung zu hoffen, daß, wenn auch nicht in naher Zukunft,
eintritt, was in der Apostelgeschichte (9,31) über Juda, Galiläa und Samaria gesagt
wird: ein Land des Friedens, gefestigt in der Furcht vor dem Herrn, erfüllt vom Beistand
des Heiligen Geistes.
Allein
durch (politische und diplomatische) Bemühungen wird die Welt nie in der Lage sein, eine
wirkliche Stabilität zu errichten.