R e p o r t a g e a u s C h i a p a s |
D i e B e g e g n u n g m i t J e s u s C h r i s t u s u n d d e r S c h r e i d e s A r m e n . |
Das Volk von tatic Samuel"
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Samuel Ruiz García, 73, ist seit 1960 Bischof von San Cristóbal de las Casas. |
Ihm hat
man schon alles nachgesagt. Einige seiner Kollegen" des mexikanischen
Episkopats haben ihm vorgeworfen, die Zapatistische Befreiungsarmee mit Kirchengeldern zu
unterstützen. Seit Jahren gehen beim Vatikan Anzeigen und Drohungen ein, die seine
Absetzung verlangen. Auch bei den Verhandlungen um eine Normalisierung der Beziehungen
zwischen dem Heiligen Stuhl und Mexiko wurde der Kopf des unbequemen Bischofs verlangt.
Doch der dreiundsiebzigjährige Samuel Ruiz García, der bereits seit 38 Jahren Bischof
von San Cristóbal de las Casas ist, ist das Kämpfen gewöhnt. Auch jetzt, nach dem
Massaker an den Christen von Acteal, gehen in Rom zahlreiche Petitionen ein, wie
beispielsweise die des Consejo coordinator empresarial. Diese private
Unternehmerorganisation des mexikanischen Bundesstaates Chiapas fordert den Heiligen Stuhl
darin auf, den Freund der Indios von seinem Bischofsstuhl zu entfernen, damit er
endlich aufhört, sich in den Konflikt einzumischen". Die regierungsfreundlichen
Zeitungen beschreiben ihn hartnäckig als großen Drahtzieher des Aufstands der Indios und
sprechen ihm seine Vermittlerrolle zwischen der Regierung und der zapatistischen Guerilla
als Präsident der Comisión nacional de intermediación ab. Sie wünschen sich seine
Entmachtung oder wenigstens eine Überprüfung" durch andere Bischöfe oder
durch das gesamte mexikanische Episkopat. Sie verziehen vor allem deshalb das Gesicht,
weil sich die mexikanischen Bischöfe und Kardinäle - auch diejenigen, die dem Bischof
von San Cristóbal bis dahin keine Kritik erspart hatten - nach dem Blutbad von Acteal und
den mehrfach von den Militärs vorgebrachten plumpen Anschuldigungen, Ruiz García
kollaboriere mit der Guerilla, mit ihm und seiner Diözese solidarisch erklärt haben.
Sogar der Apostolische Nuntius in Mexiko, Justo Mullor García, hat nach der Rückkehr von
seinen Gesprächen in Rom Mitte Januar erklärt, Ruiz García werde im Augenblick nicht
versetzt.
Dieser
setzt unterdessen seinen Weg fort - gemeinsam mit den Indios, die siebzig Prozent seiner
Herde bilden und ihn tatic Samuel" (Vater Samuel) nennen. Von ihnen, so
erklärt er, habe er den Glauben gelernt. Wie Bartolomé de Las Casas, der Apostel der
Indios und einstige Bischof von San Cristóbal sagte: Das Evangelium kann auch das
ungebildete und ungelehrte Volk verkünden, weil es einen festen Glauben und
Grundkenntnisse von den Glaubensartikeln besitzt. Mit dem guten Beispiel eines
christlichen Lebens kann es seine Bestimmung erreichen und den Platz der Apostel
einnehmen."
Wenige Kilometer von hier liegt das Dorf Acteal, wo am 22. Dezember 45 Menschen
während des Gebetes von einer paramilitärischen Einheit niedergemetzelt wurden. Was hat
dieses Ereignis für das Leben dieser Leute bedeutet?
SAMUEL RUIZ GARCÍA: Das Blutbad von Acteal hat eine Gemeinschaft von Flüchtlingen
getroffen, die ihre Dörfer verlassen hatten. Infolge eines Angriffs bewaffneter Banden
waren sie gezwungen worden, ihre Häuser und ihren Besitz zu verlassen. In den Wochen
zuvor war es im selben Gebiet bereits zu 24 Gewalttaten an einzelnen oder Gruppen
gekommen. Die desplazados von Acteal hatten sich zu dreitägigem Fasten und Gebet für den
Frieden versammelt. Dies war kein außergewöhnliches Ereignis, denn bereits als der
Aufstand 1994 begann, fasteten und beteten in sehr vielen Dörfern abwechselnd einige
Bewohner im Namen der ganzen Gemeinschaft für den Frieden. Diese Menschen wurden nun in
dieser ihrer Lage Opfer einer Gewalttat: Es waren einfache Menschen, die sich nur nach
Ruhe und Frieden sehnten. Von Anfang an aber versuchte man, nach außen glaubhaft zu
machen, die Kirche sei die eigentliche Schuldige dieser Gewalttaten. Um die militärische
Besetzung und die damit verbundene Strategie zu rechtfertigen, brauchte es einen
Sündenbock, jemanden, dem man die Schuld auf ganz abscheuliche Weise aufladen konnte. So
kam es zu einer ganzen Reihe von nie endenden Gewaltakten: Priester und Gläubige wurden
mißhandelt, ausländische Missionare ausgewiesen, Häuser, in denen Katechesen abgehalten
wurden, vom Militär beschlagnahmt, Kirchen von paramilitärischen Einheiten entweiht,
Krankenstationen zerstört, Kooperativen geplündert. Während einer solchen Welle der
Gewalt, als Tausende ihre Häuser räumen mußten, ließen diese Flüchtlinge aus dem
Norden mir dennoch sagen: Herr Bischof, wir sind betrübt über das, was mit uns
geschieht, denn wir sind in der Ferne, weit weg von unserem Zuhause. Doch wir bleiben
stark im Glauben." Auch nach dem Blutbad von Acteal habe ich trotz des Leids einfache
Menschen kennengelernt mit einer großen Hoffnung, die durch das Zeugnis dieser
Unschuldigen nur noch bestärkt worden ist.
Sie sagen immer, Sie seien von den Indios bekehrt worden. Können Sie uns erzählen,
wie Ihre lange Erfahrung mit ihnen begonnen hat?
RUIZ GARCÍA: Vor siebenunddreißig Jahren, als ich die Gemeinden zu besuchen begann,
waren die Kirchen voll, die Menschen eifrig, das Volk treu und auf dem Weg zu Gott. Doch
schon bald bemerkte ich auch die Unterdrückung und Ausbeutung, die die Beziehungen
zwischen den Schichten der Gesellschaft bestimmten. Als ich einmal einen Großgrundbesitz
besuchte, zu dem sechs oder sieben Gemeinden gehörten, erfuhr ich, daß der Besitzer
unter dem Vorwand meines bevorstehenden Besuchs drei Monate lang von jeder Familie eine
wöchentliche Abgabe verlangt hatte: nur um mir eine Tasse Kaffee und ein paar tortilla
anzubieten! Ein sehr teures Vergnügen! Doch es war das letzte Mal, daß sie einen solchen
Preis für meinen Besuch bezahlen mußten. Ich entschloß mich daraufhin, nur noch dort
hinzugehen, wo mich die Gemeinden aufnahmen. Die Tatsache, daß ich nicht im Haus des
Großgrundbesitzers übernachtete, stellte das wirtschaftlich-religiöse Herrschaftsmodell
der Gemeinden in Frage. Die Armen waren glücklich, aber jemand anders war schon gar nicht
mehr so über mich begeistert. Es war die Zeit, in der die campesinos vor den Augen ihrer
Frauen und Kinder umgebracht oder bei lebendigem Leib verbrannt wurden, nur weil sie
irgendeine sakrosankte Forderung nach Land gestellt hatten. Eines Tages töteten sie einen
Bauern, weil er auf dem Heimweg einen Weg benutzt hatte, der einem Großgrundbesitzer
gehörte. Der ganadero hatte zwar ein Verbotsschild aufgestellt, aber die campesinos
können oft nicht lesen und schreiben. Sie warteten auf den Erstbesten, der vorüberkam,
und töteten ihn.
Heute
stellt man überrascht fest, daß die eingeborenen Völker auf dem ganzen Kontinent von
Alaska bis nach Patagonien wieder eine entscheidende Rolle spielen. Die großen
Migrationen der Geschichte haben in der Regel die einheimischen ethnischen Gruppen in
kurzer Zeit absorbiert. Hier hingegen sind fünfhundert Jahre vergangen, und die Indios
sagen: Wir sind noch immer da. Und sie sagen es nicht als Aufruf zum Widerstand, sondern
als positives Angebot. Hierin liegt der Unterschied zwischen dem zapatistischen Aufstand
und anderen bewaffneten Revolutionen. Ziel der Zapatisten war und ist nie die
Machtübernahme durch Waffengewalt. Sie haben nie das mexikanische Volk zum Sturz der
Regierung aufgefordert oder die Zivilbevölkerung angegriffen. Sie verlangen eine
Änderung der Zustände. Sie haben immer aufgezeigt, wer und was sich in der
Zivilgesellschaft ändern muß.
Wer kann nun die Lösung des Konflikts in Chiapas herbeiführen? Präsident Zedillo?
Oder die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) von Cardenas, die sich im Westen
etablieren will als Alternative zur Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), der
Staatspartei, die seit Zeiten das moderne Mexiko regiert?
RUIZ GARCÍA: Zedillo ist der Befehlshaber der Streitkräfte. Es liegt auch an ihm, ob
das Militär sich wieder seinen Aufgaben widmet oder ob es im Bundesstaat Chiapas auch
weiterhin als Besatzungsmacht der Gesellschaft fungiert. Was Cardenas anbelangt, so ist er
derzeit Bürgermeister von Mexiko-Stadt und von Chiapas weit weg. Daß sich etwas ändert,
hängt nicht von einem einzelnen oder einer Partei ab. Augenblicklich scheint mir der
gemeinsame Druck der Zivilgesellschaft und der internationalen Gemeinschaft das
wichtigste. Regierung und Zapatisten haben das Abkommen von San Andrés über die Rechte
und Kultur der Eingeborenen unterzeichnet. Bisher besteht das Abkommen aber nur auf dem
Papier. Es ist daher an der Zeit, es auch in die Tat umzusetzen. Dazu müssen zunächst
die paramilitärischen Einheiten entwaffnet und aufgelöst werden, die nach
Kriegshandbüchern schwach geführt waren.
Hat sich der Papstbesuch in Kuba auch auf die Spannungen und Konflikte im Bundesstaat
Chiapas ausgewirkt? Welche Rolle könnte der Vatikan spielen?
RUIZ GARCÍA: Das Leben der Menschen wird sich hier sicherlich nicht deshalb ändern,
weil der Papst nach Kuba gereist ist. Ein Wort aus Rom kann aber dennoch hilfreich sein.
Das soll aber nicht heißen, daß der Vatikan zu jedem Problem auf der Erde eine
Stellungnahme abgeben und direkt eingreifen muß, als ob die Menschen hier keine
Verantwortung trügen. Der Heilige Stuhl hat nicht die Aufgabe, die Welt zu kontrollieren
und seine Patentlösung anzubieten, wenn er irgendwo einen Konflikt aufkommen sieht. Wir
als mexikanische Bischöfe tragen zusammen mit dem Nuntius, der jüngst den Bundesstaat
Chiapas besucht und sicherlich Rom über unsere Lage informiert hat, unsere Verantwortung
in der heutigen Lage.
Aufgrund Ihrer pastoralen Erfahrung mit den Indios sind Sie zu einem kritischen Urteil
über die Zeit gelangt, in der sich die Evangelisierung dieser Völker ereignet hat. Sie
haben von einer Ursünde" dieser Zeit gesprochen. Was meinen Sie damit?
RUIZ GARCÍA: Ich habe nichts erfunden. Ich habe nur an das erinnert, was einst
geschah. In der Zeit der Evangelisierung der Neuen Welt herrschte eine ungebührende
Identifizierung zwischen dem wesentlichen Inhalt der Verkündigung des Evangeliums, das im
übrigen Ereignisse aus dem Orient und nicht aus dem Abendland berichtet, und der
europäischen Kultur, die vom Christentum geprägt war, so daß man sie als christliche
abendländische Kultur bezeichnen konnte. Bei der Evangelisierung stülpte man der
einheimischen Kultur die abendländische Kultur über; Evangelisierung hieß daher oft
Anpassung an eine Kultur - hier an die der spanischen conquistadores -, die selbst nicht
einheitlich war. Dies führte bei vielen Eingeborenen zur Ausbildung einer doppelten
Kultur: der äußeren, von den Spaniern praktisch aufgezwungenen Kultur, und der
vorkolumbianischen Kultur, die im Innern die eigentliche Identität bildete. Im übrigen
stellte all dies wieder vor die große Schwierigkeit, vor der bereits die ersten Christen
gestanden haben, als sie sich fragten, ob sich die Bekehrten des abendländischen Teils
des Römischen Reiches beschneiden lassen und den Gesetzen der Torah folgen müßten oder
nicht. Im Brief an die Galater schreibt Paulus, wie scharf er Petrus zurechtwies und ihm
wörtlich sagte: Was kommt dir in den Sinn? Du weißt genau, daß das mosaische Gesetz nur
ein Zugeständnis an das jüdische Volk vor der Ankunft Christi war. Warum hast du mit den
Judenchristen Gemeinschaft, folgst den Vorschriften des jüdischen Gesetzes und bereitest
so den anderen Christen Ärgernis? Von diesem Augenblick an begannen die Judenchristen,
Paulus im ganzen Römischen Reich zu verfolgen. Erst das Apostelkonzil von Jerusalem
bestimmte Minimalregeln für das Zusammenleben aller.
Können Sie uns von dem Attentat erzählen, das man am 4. November vergangenen Jahres
gegen Sie verübte?
RUIZ GARCÍA: Der Bischofskoadjutor und ich wollten eine Pastoralreise in einige
Gebiete im Norden machen, die von den Gewalttaten der paramilitärischen Einheiten
betroffen waren. Aus Drohungen gegenüber den Pfarrern und Gemeinden der Gebiete, die wir
besuchen sollten, wußten wir bereits vorher von dem Anschlag. Sie sagten, es wäre
besser, den Besuch ausfallen zu lassen, andernfalls gäbe es Schwierigkeiten. Wir wußten
nicht, was wir tun sollten. Die Absage unserer Reise hätte der Einheit, die die Drohungen
ausgesprochen hatte, eine Macht verliehen, die sie eigentlich gar nicht besitzt. Doch wir
wollten auch die Gemeinden nicht unnötig in Schwierigkeiten bringen. Wir fragten sie
direkt, was wir tun sollten, und sie antworteten uns durch ihre Pfarrer, der Besuch müsse
stattfinden, denn es gäbe für sie keinen Grund, sich ihres Christseins zu schämen.
Während der heiligen Messe waren wir sehr beeindruckt von den zwölfjährigen
Jugendlichen, die auf die traditionellen Fragen über den Glauben mit lauter Stimme und
erhobenen Händen antworteten: Ja, ich glaube! Eines Abends auf dem Rückweg zum Pfarrhaus
kam es jedoch zu einem bewaffneten Überfall auf unseren Autokonvoi. Sie feuerten einige
Schüsse ab und verletzten drei Menschen. Zwei von ihnen waren Katecheten. Wir hatten die
Attentäter auch auf dem Hinweg gesehen. Sie kontrollierten unseren Weg und berechneten
die Zeit für den Rückweg. Wir haben den Vorfall angezeigt. Doch die Behörden und auch
die Führer der genannten Einheit Paz y Justicia erwiderten uns nur, es könne überhaupt
keinen Hinterhalt gegeben haben, da wir ja alle noch am Leben seien.