M EXIKO

Geschichtsexkurse. Das Blutbad von Acteal in Chiapas als Verfolgung der cristeros.

„Der standhafte und hochherzige
Widerstand der Unterdrückten"
(Pius XI.)

 

Die heute noch aktuellen Verlautbarungen von Papst Pius XI. in den Jahren der Verfolgung der Katholiken, die zum plötzlichen bewaffneten Aufstand der Bauern führten.

von Giovanni Ricciardi

 

Priester und Gläubige während des „Gottesdienststreiks". Mit dieser Maßnahme reagierten die mexikanischen Bischöfe 1926 auf die Provokationen der Regierung

     Das Massaker vor Weihnachten, bei dem in Acteal 45 andächtig betende Indios ums Leben kamen, scheint die tragischen Jahre der mexikanischen Geschichte zu Beginn dieses Jahrhunderts wieder zum Leben zu erwecken. Die meisten hatten sie bereits vergessen, doch in dem wunderschönen Buch Die Kraft und die Herrlichkeit von Graham Greene sind sie immer noch lebendig. Nachdem die neue Verfassung am 3.Februar 1917 in Querétaro verabschiedet worden war, tobte in Mexiko bis 1940 eine systematische Verfolgung der Kirche Jesu Christi.
     Nach der Revolution im Jahr 1911 und der Vertreibung von Porfirio Díaz, der das Land fast dreißig Jahre lang regiert hatte, hatten drei Persönlichkeiten, die allesamt der Kirche gegenüber feindlich gesinnt waren, die Macht in Mexiko inne: Venustiano Carranza (von 1914 bis zur Ermordung im Jahr 1920), Alvaro Obregón (1920-1924), der unmittelbar nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten im Jahr 1928 ermordet wurde, und Plutarco Elías Calles (1924-1928), der 1940 in den Vereinigten Staaten starb. Unter ihrer Regierung versuchte man, die Kirche völlig aus allen Bereichen des Lebens des Landes auszuschließen. Unter den systematischen Schikanen litt der ganze Leib der Kirche, angefangen bei den Bischöfen - die Apostolischen Delegaten waren da nicht ausgeschlossen - bis zum Volk, das heißt bis zu jenen Bauern, die ganz spontan durch einen bewaffneten Aufstand für Furore sorgten, der unter dem Namen cristiada in die Geschichte eingegangen ist.
     Die Verfassung von Querétaro enthielt eine Reihe von Verordnungen, deren Ziel die vollständige Verbannung der Kirche aus allen Bereichen der mexikanischen Gesellschaft war: Absolutes Verbot für Ordenskongregationen, Schulunterricht zu erteilen; Abschaffung der Ordensgelübde, die als Angriff auf die Freiheit des Menschen galten; vollständige Beschlagnahmung der Kirchengüter durch den Staat; bloße Anerkennung der bürgerlichen Ehe; Vertreibung des ausländischen Klerus; Entzug aller bürgerlichen und politischen Rechte der Priester, einschließlich der mexikanischen. Nach einer ersten Phase der sanften und unsystematischen Anwendung der Vorschriften wollte Präsident Calles mit dem Gesetz vom 6. Januar 1926 der Verfassung eine buchstäbliche Gültigkeit verleihen.
     Nach der Vertreibung des Apostolischen Delegaten Caruana wenige Tage nach der Promulgierung des Gesetzes griff Pius XI. persönlich ein: zunächst am 2. Februar 1926 durch das Apostolische Schreiben Paterna sane, das an die mexikanischen Bischöfe gerichtet war. Zunehmend über die Lage in Mexiko besorgt, versuchte der Papst der Ortskirche konkrete Weisungen für den Widerstand zu geben: „Wir richten Unser ewiges Wort deshalb nun an Euch, um Euch jene Weisungen zu geben, die Ihr in den gegenwärtigen Schwierigkeiten von Uns erbeten habt und die sich in der Ermahnung zum einträchtigen und disziplinierten Wirken im Sinne einer ‚katholischen Aktion' unter den Eurem seelsorglichen Eifer anvertrauten Gläubigen zusammenfassen lassen. Wir sprachen von einer ‚katholischen Aktion', weil es in den schwierigen Verhältnissen, in denen Ihr Euch befindet, mehr denn je notwendig ist, daß Ihr und Euer ganzer Klerus sowie die katholischen Verbände sich keiner politischen Partei anschließen, um den Gegnern keinen Vorwand zu bieten, Euren religiösen Glauben mit einer Partei oder irgendeiner Fraktion zu verwechseln. Deshalb bilden die Katholiken als solche in Mexiko keine politische Partei, die sich katholisch nennt." Für den Papst bestand kein Zweifel: In Mexiko stand die Verteidigung des Glaubens auf dem Spiel. Der französische Diplomat Ernest Lagarde führte in jenen Tagen mit Präsident Calles Gespräche und gewann dabei einen ebenso klaren Eindruck: „Er ist entschlossen", schrieb er, „der Kirche ein Ende zu bereiten und das Land ein für allemal von ihr zu befreien. Trotz seines Realismus und seiner Unverfrorenheit erweckte Präsident Calles einen Augenblick lang den Eindruck, sich mit der religiösen Frage apokalyptisch und mystisch auseinandersetzen zu wollen."
     So kam es zur Verabschiedung des Gesetzes vom 14. Juni, das unter dem Namen „Call'sches Gesetz" in die Geschichte eingegangen ist: es verbot jede religiöse Kundgebung und das Tragen des geistlichen Gewandes außerhalb der Kirche; es erlaubte nur einer begrenzten Zahl von Priestern, die der Staat ernannte, die Ausübung ihres Amtes.
     Auf diese wiederholte Provokation antwortete die Kirche mit dem sogenannten Gottesdienststreik und forderte damit die Regierung heraus. Ab 31. Juli wurde der Gottesdienst in den Kirchen eingestellt, und die Bischöfe erklärten, sie würden den Gläubigen die Sakramente nur außerhalb der Kirche spenden. „Dem Historiker kommt in diesem Zusammenhang die Haltung des Klerus und des Bischofs von Rom, Sixtus II., während der valerianischen Verfolgung im Jahr 258 in den Sinn", schreibt Giacomo Martina SJ. „Auf das Versammlungsverbot auf den Friedhöfen antwortet Sixtus II. mit einer feierlichen heiligen Messe in den Kalixtus-Katakomben, was zu seiner Verhaftung und umgehenden Enthauptung führte." Der damalige Innenminister der mexikanischen Regierung kommentierte die Entscheidung mit folgenden Worten: „Die Kirche hat den Entschluß gefaßt, über unsere Wünsche hinauszugehen, und den Gottesdienst eingestellt. Nichts kann uns mehr entgegenkommen als eine solche Maßnahme, die den erwünschten Prozeß fördert, nämlich Gleichgültigkeit und Unglauben. Wir wollen den Klerus beim Schopf packen und alles unternehmen, um ihn auszurotten. Die Religion ist ein unsittliches Geschäft, und deshalb ist es zu reglementieren."
     Der Papst billigte die Entscheidung der Bischöfe und sagte der mexikanischen Kirche durch einen feierlichen öffentlichen Akt seine Unterstützung zu. In seiner Enzyklika Iniquis afflictisque vom 18. November 1926, die sich nun an die ganze Kirche richtete, bat der Papst die ganze Welt, für die Katholiken in Mexiko zu beten, und fügte am Ende hinzu: „Noch dürft ihr meinen, verehrte Brüder, daß die Aufrufe zum Gebet vergeblich seien, wenn ihr seht, daß die mexikanische Regierung in ihrem unersättlichen Haß gegen die Religion auch weiterhin ihre ungerechten Gesetze mit Härte und Gewalt anwendet. Denn in Wirklichkeit haben der Klerus und die Gläubigen, gestärkt durch eine überreiche Ausgießung der göttlichen Gnade, dieses vorbildliche Schauspiel gegeben, so daß sie zu Recht verdienen, daß Wir mit einem feierlichen Dokument Unserer apostolischen Autorität es vor den Augen der ganzen katholischen Welt deutlich hervorheben."
     Das Dokument zeichnet die Geschichte der Verfolgung nach und hält der Welt die vorbildliche Treue des mexikanischen Volkes, insbesondere der Priester und Laien, vor Augen: „Wir sehen", schrieb Pius XI., „wie diese Priester zutiefst geeint sind und aus ganzem Herzen und voller Ehrfurcht den Geboten ihrer Vorgesetzten gehorchen, obwohl ihnen dies große Nachteile einbringt. Sie üben ihr heiliges Amt aus, sind arm, besitzen nichts, womit sie die Kirche unterhalten könnten, sie ertragen Elend und Armut mit Starkmut; sie müssen die heilige Messe privat feiern, mit allen Kräften den geistlichen Bedürfnissen der Gläubigen nachkommen und in allen um sie herum die Flamme der Frömmigkeit entfachen und nähren. [...] Wo es nötig war, nahmen sie ohne Zögern, frohgemut und starkmütig Gefängnis und Tod auf sich."
     Die Zahlen der Verfolgung lassen keinen Zweifel offen. In den Jahren unmittelbar nach dem von Calles erlassenen Gesetz ließ die Regierung etwa 90 Priester ermorden oder hinrichten, ganz abgesehen von den Vertriebenen und Flüchtlingen. Zu ihnen gehörte der Jesuitenpater Augustin Pro, der 1927 erschossen und 1998 von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen wurde.
     Unterdessen organisierten sich die Katholiken in der Liga nacional defensora de la liberdad religiosa, die vom mexikanischen Episkopat und vom Heiligen Stuhl getragen wurde, während die Bauern auf die antikatholischen Repressionen mit einem bewaffneten Aufstand reagierten. Innerhalb von drei Jahren (1926-1929) stieg die Zahl der Aufständischen auf dreißig- bis vierzigtausend. Es gelang den cristeros sogar, die Kontrolle über ganze Landstriche zu übernehmen. „Die cristeros", schrieb Pater Martina, „hatten religiöse, aber auch soziale Gründe: die Sorge um die Verteidigung des wahren Guts der campesinos, die von der Regierung zu sehr vernachlässigt wurden; die Religion und sozioökonomische Fragen gingen widerspruchslos einher."
     Das Land und der Glaube: Die cristeros erzielten in ihrem Kampf keine großen Erfolge, weil sie sich nur schwerlich Waffen und Munition verschaffen konnten. Die Vereinigten Staaten wollten dem Aufstand ein Ende bereiten, weil sie keinen unruhigen und turbulenten Nachbarn dulden konnten und der Wahrung ihrer Interessen am mexikanischen Erdöl nicht schaden wollten. Sie schlossen daher ihre Grenzen, so daß die Aufständischen ihren Kampf nicht fortsetzen konnten.
     Im Juni 1929 gab die Regierung vor, eine Einigung zu suchen, und durch das Eingreifen der versöhnlichen Bischöfe und des amerikanischen Botschafters Morrow, eines Freundes von Calles, wollte sie der Kirche ihre Absichten beteuern. „Es handelte sich dabei", erklärt Pater Martina, „nicht um einen Friedensvertrag zwischen zwei Mächten, sondern um eine einfache Presseerklärung des neuen mexikanischen Präsidenten, Portes Gil: Die Regierung wollte die Kirche weder vernichten noch angreifen, sondern lediglich die bestehenden Gesetze anwenden. Die Registrierung der von der Regierung anerkannten Priester als Geistliche stellte einen einfachen Verwaltungsakt ohne jeglichen Anspruch dar, in die Zuständigkeitsbereiche der Hierarchie einzudringen." Die Kirche war sich bewußt, daß sie den öffentlichen Gottesdienst nicht bis in alle Ewigkeit aussetzen konnte, und entschied sich, den leeren Versprechungen der Regierung Glauben zu schenken. Die Bischöfe überzeugten die cristeros, ihre Waffen niederzulegen und auszuhändigen. Als Antwort darauf ließ die Regierung in den darauffolgenden Monaten viele von ihnen erschießen. Man geht davon aus, daß nach dem Abkommen etwa fünfhundert Aufständische niedergemetzelt wurden. Im September 1932 kam Pius XI. erneut auf die mexikanische Frage zu sprechen, und zwar mit einer Enzyklika, deren Titel schon seine ganze Bitterkeit über die herrschende Lage zum Ausdruck brachte; Acerba animi magnitudo zeichnet die einzelnen Phasen der Geschichte jener Jahre nach und fordert die Katholiken erneut zum Widerstand auf: „Während andere Regierungen sich in der letzten Zeit bei der Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl gegenseitig zu übertreffen suchten, schloß der mexikanische Staat von vornherein die Möglichkeit zu einem Einvernehmen aus, ja er erfüllte immer weniger die Versprechen, die er Uns schriftlich gegeben hatte; er hat Unsere Vertreter wiederholt des Landes verwiesen und hat damit seine wahren Absichten gegenüber der Kirche gezeigt. [...] Angesichts des standhaften und großmütigen Widerstands der Unterdrückten gibt die mexikanische Regierung allmählich auf verschiedene Weise zu verstehen, daß sie einer Übereinkunft gegenüber grundsätzlich nicht abgeneigt ist und gewillt sei, die Lage der Dinge zu ändern, die sie nicht zu ihren Gunsten wenden konnte. Obwohl Uns die schmerzliche Erfahrung gelehrt hat, solchen Versprechen keinen Glauben zu schenken, müssen Wir uns vor diesem Hintergrund dennoch fragen, ob es dem Heil der Seelen dienlich ist, die Aussetzung des öffentlichen Gottesdienstes fortzuführen." Als der Papst vom „standhaften und heldenmütigen Widerstand der Unterdrückten" sprach, durfte er aus Gründen der Klugheit die cristeros nicht erwähnen. Doch als er feststellte, daß „Priester und Laien, die standhaft ihren Glauben verteidigt haben, trotz der ausdrücklichen Versprechungen" nach dem Abkommen von 1929 „den grausamsten Racheakten der Gegner ausgeliefert waren", bezog er sich eindeutig auf die Ereignisse, die sich vor aller Augen abspielten.
     Erst 1937 anerkannte der Papst in seiner letzten Mexiko-Enzyklika Firmissimam constantiam unter bestimmten Umständen sogar die Legitimität des bewaffneten Widerstands gegen eine tyrannische und gewalttätige Regierung. Doch in diesem Text voller Realismus und christlicher Hoffnung ruft er vor allem die Bischöfe und Priester auf, die beiden kostbarsten Schätze der Kirche nicht zu vergessen: den Glauben und die Armen - den Glauben durch das Apostolat: „Es ist außerdem offensichtlich, daß das Apostolat nicht einem rein natürlichen Impuls zur Handlung entspringt; es ist vielmehr Frucht einer soliden inneren Bildung; es ist die notwendige Ausweitung einer innigen Liebe zu Jesus Christus und zu den Seelen, die er durch sein kostbares Blut erlöst hat; sie verwirklicht sich in der Verpflichtung, sein Leben des Gebets, des Opfers und des unermüdlichen Eifers nachzuahmen. Die Nachfolge Christi erweckt vielfältige Formen des Apostolats auf allen Gebieten, wo die Seelen in Gefahr sind oder die Rechte des göttlichen Königs verletzt werden." Doch die Armen und ihre Nöte sind ebenso wichtig, „weil man die Seelen oft nur durch die Linderung ihrer körperlichen Leiden und wirtschaftlichen Nöte erreicht [...]." So „kann es zum Schutz der Würde der menschlichen Person manchmal notwendig sein, die ungerechten und unwürdigen Lebensverhältnisse beim Namen zu nennen und zu verurteilen." Pius XI. erwähnt insbesondere die Bauern: „Eine andere Pflicht ist nicht weniger schwer und nicht weniger dringlich: die Pflicht zur religiösen und finanziellen Unterstützung der Landbevölkerung und des nicht kleinen Teils von Mexikanern, der überwiegend aus Bauern, aus Euren Kindern, besteht und die einheimische Bevölkerung bildet. Millionen Seelen, die Christus zwar erlöst, aber Eurer Sorge anvertraut hat und für die er eines Tages von Euch Rechenschaft verlangen wird: Millionen von Menschen leben unter so armseligen und erbärmlichen Bedingungen, daß sie nicht einmal jenes Minimum an Wohlstand besitzen, das zur Wahrung ihrer menschlichen Würde unabdingbar ist. Wir beschwören Euch daher, verehrte Brüder, bei der Liebe Christi, diesen Kindern Eure besondere Sorge zu widmen, Euren Klerus zu ermutigen, ihnen mit immer größerem Eifer beizustehen."
     Sechzig Jahre nach der Veröffentlichung der Enzyklika kann man sicherlich nicht sagen, diese Worte seien veraltet.