Zukünftige Heilige

Oscar Romero


Die drei Rombesuche
von Romero, wie er sie in seinem
Tagebuch festgehalten hat

„Das Tagebuch ist ein Schlüssel zum Verständnis seines Lebens"

Gregorio Rosa Chávez

 

 

Juni 1978

 

Samstag, den 17.

     Die Oblatenschwestern der Göttlichen Liebe erwarteten uns, weil Mutter Scarglietti uns von San Salvador aus angekündigt hatte; für diese Aufmerksamkeit bin ich sehr dankbar. Wir sind in der römischen Pension untergebracht, und nach einer Ruhepause - es war inzwischen Samstag mittag - besuchten wir am Nachmittag den Petersdom. Am Grab des ersten Papstes habe ich intensiv für die Einheit der Kirche gebetet, für den Papst, für die Bischöfe und für die ganze Kirche auf dem Erdkreis, besonders für unser Erzbistum; ich empfahl dem heiligen Petrus die Interessen unserer Kirche und den Erfolg dieser Gespräche mit dem Heiligen Stuhl.

Sonntag, den 18.

     Nachmittags besuchten wir das Grab des heiligen Paulus in seiner Kirche vor den Mauern, es war die Zeit der feierlichen Vesper, die Basilika war hell erleuchtet. Die Orgelmusik erfüllte den Raum, und der Chor der Mönche sang gregorianischen Choral. Vor dem Grab des Heidenapostels, des großen Paulus, kniend, spürte ich in jenem Raum des Gebets, fast des Himmels, wie in meinem Herzen alle jene Gefühle meiner Studenten- und auch schon Priesterzeit auflebten, meine Besuche in Rom; immer sind mir die Gebete vor diesen Apostelgräbern Inspiration und Ermutigung gewesen, vor allem heute, da ich spüre: Mein Besuch ist kein schlichter Besuch privater Frömmigkeit; vielmehr bringe ich auf meinem Ad-limina-Besuch alle Interessen und Sorgen mit, alle Probleme, Hoffnungen, Pläne, Ängste aller meiner Priester, Ordensgemeinschaften, Pfarreien, Basisgemeinden, das heißt eines ganzen Erzbistums, das mit mir herkommt und sich niederwirft, wie gestern am Grab des heiligen Petrus, so heute am Grab des heiligen Paulus.

Mittwoch, den 21.

     Die Generalaudienz und die Sonderaudienz beim Heiligen Vater haben diesen unvergeßlichen Vormittag ausgefüllt. Es ist der 21. Juni, und man erinnert sich bei der Generalaudienz hauptsächlich daran, daß es heute 15 Jahre her ist, seit am 21. Juni Kardinal Giovanni Battista Montini erwählt wurde, dem heiligen Petrus mit dem Namen Paul VI. nachzufolgen. Dies rief bei vielen Audienzteilnehmern, bei denen alle Sprachen vertreten waren, großen Jubel hervor; durch ihre Dolmetscher sprachen sie dem Nachfolger des heiligen Petrus ihre Liebe und Zuneigung und ihre Fürbitte aus. Der Papst antwortete auf diesen Ausbruch der Liebe und sagte, daß die Wahl für ihn die absolute Hingabe an das Volk Gottes bedeute. Und im Namen dieser Hingabe inspirierte sich seine Botschaft aus einer Pflicht, die die Geschichte hindurch das Besondere der Päpste gewesen ist: die Schönheit der Kirche sichtbar zu machen, ungeachtet der menschlichen Züge und der persönlichen Mängel der Päpste. Speziell bezog er sich auf die große Sendung der Kirche, inmitten der Menschheit Einheit, Frieden, Glück in Christus zu säen. [...]
     Als es soweit war, betraten wir das Gemach des Heiligen Vaters; wir begrüßten den Papst mit der Ergriffenheit, die einen in solchen Augenblicken erfaßt. Der Papst ließ uns links und rechts von ihm Platz nehmen, wandte sich im besonderen an mich, nahm meine rechte Hand und hielt sie lange zwischen seinen beiden Händen. Auch ich drückte mit beiden Händen die Hände des Papstes. [...] Während er so meine Hände hielt, sprach er lange mit mir. Seine Botschaft im einzelnen wiederzugeben, fiele mir schwer, denn zum einen ist sie nicht schematisch, sondern eher herzlich, weit, großzügig; überdies ist einem in solchen Augenblicken auch nicht danach, sich Wort für Wort zu merken: doch seine wichtigsten Gedanken und Worte waren diese: „Ich verstehe Ihre schwierige Arbeit. Es ist eine Arbeit, die vielleicht nicht verstanden wird. Sie brauchen viel Geduld und Mut. Ich weiß wohl, nicht alle denken wie Sie, bei der Lage Ihres Landes fällt solche Einmütigkeit schwer. Machen Sie trotzdem weiter mit Mut, Geduld, Kraft und Hoffnung." Er versprach mir, daß er viel für mich und mein Bistum beten und sich sehr um die Einheit mühen werde. Wenn er persönlich irgendwie dienen könne, würde er es gern tun.
     Dann bezog er sich auf das Volk. Er sagte, daß er es kenne, seit er vor bald 50 Jahren im Staatssekretariat gearbeitet habe; es sei ein großherziges, arbeitsames Volk, das heute viel leide und sein Recht suche. Man muß ihm, sagte er, helfen und für es arbeiten, aber nie mit Haß die Gewalt schüren, sondern in großer Liebe ihm den Wert seines Leidens spürbar machen, den Frieden predigen und dieses Volk wissen lassen, wie der Papst es liebt und wie er für es betet und arbeitet. [...] Ich drückte ihm meine unverbrüchliche Verbundenheit mit dem Lehramt der Kirche aus und daß ich bei meinen Worten zur Situation der Gewalt im Lande stets zur Umkehr aufrufe und mein Mitleid mit den Leidenden bezeige, mit den Familien der Opfer; und sooft ich die Sünde anprangere, rufe ich zugleich die Sünder zur Bekehrung auf. [...] Mir bleibt die Zufriedenheit über eine Stärkung in meinem Glauben, meinem Dienst, meiner Freude, mit Christus zu arbeiten und zu leiden für die Kirche und für unser Volk. Ich glaube, daß schon dieser Augenblick allein ausreichen würde, alle Mühe der Romreise auszugleichen: Sich an der Gemeinschaft mit dem Papst zu stärken, sich von ihm klar die Richtungen zeigen zu lassen. [...]
     Bei dieser Audienz habe ich dem Heiligen Vater verschiedene Gegenstände übergeben. [...] Ich übergab dem Heiligen Vater ein Memorandum in Form eines kurzen Briefes, um ihm mitzuteilen, daß ich schon dabei sei, die verschiedenen Dikasterien seiner Heiligkeit zu besuchen, und erklärte ihm, wie schwierig es sei, den erzbischöflichen Dienst in der Situation meines Landes zu leisten, im Bemühen um Treue zum derzeitigen Lehramt der Kirche. [....] In meinem Memorandum teilte ich ihm auch meinen Schmerz darüber mit, daß bei den Bemerkungen, die einige Sekretariate über mein pastorales Verhalten gemacht haben, anscheinend ein negatives Kriterium vorherrscht, das genau mit jenen äußerst mächtigen Kräften übereinstimmt, die dort, in meiner Erzdiözese, meine apostolischen Bemühungen zu bremsen und in Mißkredit zu bringen versuchen. Zum Schluß sagte ich ihm, dem Heiligen Vater, er könne dennoch meiner Treue zu ihm, dem Nachfolger Petri, und meiner bedingungslosen Zustimmung zu seinem Lehramt gewiß sein; denn gerade in dieser Treue und in dieser Zustimmung habe ich immer das Geheimnis und die Sicherheit gefunden, mit meinem Volk dem Geist des Herrn zu folgen.

Mittwoch, den 28.

     Da es ein Tag ohne besondere Pläne war, verwende ich den Vormittag dafür, wieder zur Generalaudienz des Heiligen Vaters zu gehen und mich mitten unter das Volk zu mischen. Es machte mir große Freude, mich als einer der Christen zu fühlen, die da aus verschiedenen Nationen der Welt gekommen sind und mit großer Sehnsucht darauf warten, den Papst zu sehen. [...]
     Vor der Ankunft des Papstes hörte man Lieder in allen Sprachen. Als dann der Papst kam, brauste großer Beifall auf. Der Papst bezog sich auf den heiligen Petrus, sein Grab, seine Basilika. Er sprach davon, daß wir alle Christen uns hier sehr nahe beim Grundstein der Kirche befänden. Er forderte zur Treue zu dieser Kirche auf. Ich hatte die gekauften Gegenstände dabei, um sie vom Heiligen Vater segnen zu lassen und als Erinnerung mit nach Hause zu nehmen. Am Nachmittag, [...] nach dem Besuch von Mutter Llerena und Mutter Generaloberin der Oblatinnen, ging ich zum Petersdom, während sie die Patronatsvesper von den Heiligen Petrus und Paulus sangen. Beide zusammen sind die Patrone von Rom. Auch hier weckten der feierliche Gesang der Vesper, die festliche Stimmung, die Teilnehmer aus aller Welt, die den Chor der Basilika füllten, in mir viele Erinnerungen. Und dort am Grab des heiligen Petrus habe ich das apostolische Glaubensbekenntnis gebetet und den Herrn um Treue und Klarheit gebeten, um den Glauben des heiligen Apostels Petrus zu bekennen und zu verkünden. Am späten Abend führt uns unser Nachtspaziergang mit Pater Juan Bosco Estrada um den Petersplatz. Wir denken an so vieles aus der Geschichte, woran die Namen Petrus und Paulus in Rom erinnern.

Donnerstag, den 29.

     Ich treffe die Vorbereitungen für meine Rückreise. Ich besuche den Petersdom. Das feierliche Hochamt am Morgen ist beeindruckend. Viele Leute betreten und verlassen den Platz und die angrenzenden Straßen: ein wahres Patronatsfest, aber mit universalem Charakter. Wie bei uns die Patronatsfeste ein Treffpunkt für viele Menschen aus allen Gemeinden und Dörfern der Umgebung sind, so ist dieses Fest des heiligen Petrus ökumenisch. Statt Gemeinden sind es hier Länder: wir sehen hier Menschen aus allen Nationen der Welt. Doch der Geist ist derselbe: ein Volksfest, ein fröhliches Fest, das vom christlichen Glauben und von der christlichen Hoffnung inspiriert ist; man kauft, verkauft, ein Wirrwarr von Menschen, eine große Freude; dies ist das Ergebnis des Zusammenseins mit jenen Helden, die bereits gesiegt haben und in der Ewigkeit herrschen, während wir noch auf dem Weg sind und uns bemühen, ihr Beispiel nachzuahmen.
     Nachts Fahrt zum Flughafen und Rückreise in mein Land. Wenn ich auch in meine Heimat zurückkehre, verlasse ich Rom mit Heimweh. Rom ist das Zuhause für alle, die Glauben und kirchlichen Sinn haben. Rom ist die Heimat aller Christen. Dort ist der Papst, der wahre Vater aller. Ich habe ihn so nah gespürt, bin ihm so dankbar, daß Herz, Glaube, Geist sich weiterhin von diesem Felsen nähren, an dem die Einheit der Kirche so greifbar zu erfahren ist.
     Morgen, am 30. Juni, dem 15. Jahrestag der Krönung des Papstes, werden wir unterwegs sein, heimkommen, Koffer auspacken, usw. Rom wird für unsere Herzen immer Mutter, Lehrerin und Heimat sein.

 

Mai 1979

 

Donnerstag, den 3.

     Danach besuchte ich an diesem Frühlingsnachmittag die Kirche der zwölf Apostel, wo sich unter einem Altar das Grab der Heiligen Apostel Philippus und Jakobus des Jüngeren befindet, deren Fest liturgisch an diesem 3. Mai gefeiert wird.
     Ich vergaß zu sagen, daß ich in der Frühe wieder einen Besuch in der Petersbasilika machte und bei den hochverehrten Altären des heiligen Petrus und seiner Nachfolger in diesem Jahrhundert viel um die Treue zu meinem Glauben betete und um den Mut, wenn notwendig, zu sterben, wie alle diese Märtyrer gestorben sind, oder aber zu leben und mein Leben einzusetzen, wie diese modernen Nachfolger Petri das ihre eingesetzt haben. Mehr als all die Gräber hat mich die Schlichtheit des Grabes Papst Pauls VI. beeindruckt.

Freitag, den 4.

     In Sorge wegen des wichtigsten Punktes meines Rombesuchs fuhr ich erneut zur Präfektur des Päpstlichen Hauses, um die Gewährung der Audienz beim Heiligen Vater zu beschleunigen. [...] Dieser Umgang mit einem Diözesanbischof bereitet mir Kummer und Ärger; immerhin habe ich die Audienz frühzeitig beantragt, aber man schiebt die Antwort hinaus. Ich fürchte sogar, daß man sie mir nicht gewährt, denn viele Bischöfe sind zum Ad-limina-Besuch hier, und es gibt Maßstäbe, anderen Anliegen den Vorrang zu geben. Ich habe alles in Gottes Hand gelegt und sage ihm, daß ich von mir aus alles Mögliche getan habe und daß ich trotz allem an die heilige Kirche glaube und sie liebe und mit Gottes Gnade immer dem Heiligen Stuhl, dem Lehramt des Papstes treu sein werde.[...]

Montag, den 7.

     Am frühen Morgen war ich mit der Vorbereitung der Dokumente fertig, die ich dem Heiligen Vater bei der Audienz übergeben will. Es handelt sich um vier Informationen ausländischer Kommissionen, die nach El Salvador kamen, um die Situation des Landes zu studieren. Es sind Dokumente der Solidarität, der Anklage, auch meiner Kandidatur für den Nobelpreis und andere, die sich nach der apostolischen Visitation von Bischof Quarracino (jenes argentinischen Bischofs, den der Vatikan als Apostolischen Visitator nach El Salvador sandte, A. d. R.) als Ergänzung zu diesem Besuch ergaben. Ich nehme auch meinen Brief vom November mit, weil ich bezweifle, daß er den Papst erreicht hat.
     Um 12 Uhr 20 wurde ich vom Heiligen Vater in Privataudienz empfangen. Er saß an einem Schreibtisch und bot mir einen Stuhl an. Er sagte mir, ich solle den Pileolus wieder aufsetzen, den ich abgenommen hatte und in der Hand hielt. Er begann, mich nach der Situation des Landes zu fragen. Ich bat ihn höflich, wir möchten uns an das schriftliche Memorandum halten. Dem stimmte er gern zu. [...] Nachdem ich ihm alle sieben Aktenordner mit einer kurzen Erklärung übergeben habe, begann der Papst seinen Kommentar [...]. Er empfahl, große Ausgewogenheit und Klugheit zu zeigen, vor allem bei konkreten Anklagen. Es sei besser, sich an die Prinzipien zu halten, weil man bei konkreten Anklagen Gefahr laufe, Irrtümern und Fehleinschätzungen zu verfallen. Ich erklärte ihm, und er gab mir recht, daß es Umstände gebe - ich erwähnte zum Beispiel den Fall von Pater Octavio (eines Priesters, der von einem Todesschwadron ermordet wurde, A. d. R.) -, bei denen man konkret sein muß, weil das Unrecht, das heißt der Mordanschlag, auch sehr konkret war. Er erinnerte mich an seine Situation in Polen, wo er es mit einer nichtkatholischen Regierung zu tun hatte, angesichts deren sich die Kirche trotz aller Schwierigkeiten entwickeln mußte. Der Einheit der Bischöfe maß er große Bedeutung bei. Er kam wieder auf seine Seelsorgezeit in Polen zurück und meinte, das Hauptproblem sei dies: die Einheit der Bischöfe zu wahren. Ich erklärte ihm, dies sei auch mein wichtigster Wunsch, doch möge er bedenken, daß die Einheit nicht vorgespielt sein darf, sondern auf dem Evangelium und der Wahrheit beruhen muß. Er bezog sich auf den Bericht über die apostolische Visitation von Bischof Quarracino, der eine aufs höchste gespannte Situation feststellte und als Lösung für die Mängel in der Seelsorge und für die fehlende Einheit unter den Bischöfen einen Apostolischen Administrator „sede plena" vorschlug.
     Am Ende des Besuches, bei dem er mir Gelegenheit gab, meine Auffassung darzulegen, und er selbst seine Einstellung deutlich machte, lud er mich zu einem gemeinsamen Foto ein. Danach übergab er mir ein paar religiöse Geschenke. Er legte die Aktenordner auf die Seite, um die Reihe der Audienzen fortzusetzen. Ich ging hinaus, dankbar und besorgt zugleich, spürte ich doch den Einfluß einer negativen Information über meine Seelsorge. Allerdings erinnere ich mich daran, was er mir im Grunde empfohlen hatte: „Mut und Tapferkeit, gemäßigt durch die notwendige Klugheit und Ausgewogenheit."

Dienstag, den 8.

     Danach ging ich zum Petersplatz, um mich den großen Päpsten zu empfehlen, die in der Vatikankrypta ruhen und meinem Leben so viel Klarheit und Richtung gegeben haben. Ich hielt einen Augenblick inne, um mich zu sammeln und um dann wichtige Dinge bei der Kongregation für die Bischöfe zu besprechen, der Kardinal Baggio vorsteht. [...]
     Die Unterredung mit Kardinal Baggio war sehr herzlich. [...] Dann bezog er sich auf die apostolische Visitation und den Vorschlag, den schon der Papst in seinem gestrigen Gespräch vorgetragen hatte, nämlich die Situation mit der Ernennung eines Apostolischen Administrators „sede plena" zu regeln: Kardinal Baggio analysierte diesen Vorschlag mit dem Hinweis, daß er wenig praktisch sei, weil er unter den derzeitigen Bischöfen keinen sehe, der dieser Apostolische Administrator sein könnte und sich mit mir verstünde. [...] Ich bezog mich auf die dem Papst mitgebrachten Informationen, die unparteiisch sind und von einer Situation wirklicher Kirchenverfolgung zeugen. Ich bezog mich besonders auf die Information der Organisation amerikanischer Staaten. Diese empfiehlt der Regierung eindringlich, etwas gegen die systematische Verfolgung der katholischen Kirche und ihrer evangelisierenden Sendung zu tun. [...] Zufrieden ging ich fort, und es fügte sich, daß ich beim Hinausgehen meinen guten Freund Monsignore De Niccolò traf. [...] Vor allem sollte ich mich vor einer spektakulären Reaktion hüten, denn vielleicht stecke hinter der vom Heiligen Vater und Kardinal Baggio vorgetragenen Idee eines Apostolischen Administrators die Absicht, meine Reaktion zu testen, und wäre meine Reaktion negativ, könnte leicht alles verloren sein. [...]

Mittwoch, 9.

     Daraufhin machte ich mich auf den Weg, um Kardinal Pironio zu besuchen [...] Er empfing mich so brüderlich und herzlich, daß schon diese Begegnung allein genügt hätte, mir Trost und Mut zu geben. Ich legte ihm meine Situation in meinem Bistum und gegenüber dem Heiligen Stuhl vertrauensvoll dar. Er öffnete mir sein Herz und sagte mir, daß auch er leiden muß, da er die Probleme Lateinamerikas tief mitempfindet und diese vom höchsten Amt der Kirche nicht in vollem Maße verstanden würden. [...] Auch sagte er mir: „Das Schlimmste, was du tun kannst, ist, den Mut zu verlieren. Habe Mut, Romero!" Das sagte er mehrmals. Dankbar auch noch für andere Ratschläge verließ ich ihn nach einem langen brüderlichen Gespräch mit neuer Kraft im Herzen, die mir meine Romreise gab. [...]
     Danach schlug ich den Weg zum Generalat der Jesuiten ein, wo mir der gute Pater Juan Bosco die Höflichkeit erwies, Bischof Urioste in San Salvador anzurufen, mit dem wir den Dialog aufgenommen haben; er wurde aufgezeichnet, um dann im Ysax (dem Radiosender des Bistums, A. d. R.) ausgestrahlt zu werden. Bischof Urioste berichtete mir telefonisch von der schwierigen Situation der Gewalt im Land. Am schlimmsten war das Gefecht zwischen dem revolutionären Volksblock und den Sicherheitskräften in der Nähe der Kathedrale. Und wie er sagte, befänden sich in der Kathedrale von San Salvador die Leichen von neun Leuten, die in diesem Gefecht getötet wurden. [...] Nach dem Telefongespräch machte ich meinen letzten Besuch in der Petersbasilika. Ich dachte an die Informationen, die ich von Bischof Urioste erhalten hatte, und richtete meine Gebetsintentionen auf die derzeitig tragische Situation in der Kathedrale von San Salvador. Am Grab des heiligen Pius X. betete ich inständig und dachte dabei an alle die Fürsprecher, an die mich besonders die Gräber des heiligen Petrus und der letzten Päpste erinnern.

 

Januar 1980

 

Montag, den 28.

     Gegen neun Uhr, nach einer Zwischenlandung auf dem Flughafen von Madrid, starteten wir wieder zum letzten Abschnitt des Flugs nach Rom. Ich empfand dieselben Gefühle wie immer. Denn Rom bedeutet für mich die Heimkehr in die Wiege, nach Hause, zur Quelle, zum Herzen, zum Zentrum unserer Kirche. Ich habe den Herrn gebeten, diesen Glauben und diese Anhänglichkeit an jenes Rom zu bewahren, das Christus zum Sitz des universalen Hirten, des Papstes, erwählt hat. [...] Nach dem Mittagessen galt unser erster Besuch der Basilika Sankt Peter, wo ich den Weg zurücklegte, der mir schon immer gefallen hat: der Besuch des Allerheiligsten, der Besuch am Grab des heiligen Apostels Petrus, am Grab des heiligen Pius X. und an den Gräbern der Päpste: hier hat mich sehr bewegt, daß ich am Grab von Paul VI. beten konnte. Ich erinnere mich an so viele Worte aus den Gesprächen mit ihm, als ich die Ehre hatte, bei meinen früheren Besuchen von ihm in Privataudienz empfangen zu werden.

Mittwoch, 30.

     Als ich auf dem Weg zu Kardinal Pironio war, ging ich beim Staatssekretariat vorbei, um mich vor allem zu vergewissern, daß es mir möglich sein werde, an der Generalaudienz mit dem Heiligen Vater teilzunehmen. [...] Ich sprach mit Kardinal Pironio. Es war für mich eine kurze, aber sehr ermutigende Unterhaltung. Er sprach selbst den Wunsch aus, daß er mich sehen wollte, um mir erfreut mitzuteilen, daß der Besuch von Kardinal Lorscheider sehr positiv gewesen ist und der Papst selbst einen sehr guten Bericht über mich hat. Kardinal Lorscheider hatte Kardinal Pironio gesagt, daß ich in El Salvador recht hätte; die Sache sei sehr schwierig, und ich sei es, der die Umstände und die Rolle der Kirche klar sehe, mich müsse man unterstützen. Ich vermute, daß dies eine Zusammenfassung dessen ist, was Kardinal Lorscheider über seine Reise durch El Salvador gesagt hat. Ich dankte Kardinal Pironio sehr und ermutigte ihn gleichfalls, denn auch er sagte mir, daß er viel leide; gerade wegen dieser Mühe um die Völker in Lateinamerika, und er begreife mich durchaus. Er erinnerte mich an einen Satz des Evangeliums: „Fürchtet nicht die, die Leib den töten, dem Geist aber nichts tun können." Er legt das so aus: Wenn die Mörder des Leibes schrecklich sind, dann sind solche schrecklicher, die einen Anschlag auf den Geist verüben, indem sie verleumden, den Ruf schädigen, eine Person fertigmachen: und er glaubte, das sei gerade mein Martyrium, sogar innerhalb der Kirche selbst, und ich solle Mut haben. [....] Der Papst setzte in seiner Ansprache bei der Generalaudienz an diesem Mittwoch, den 30. Januar, die Meditation über das Buch Genesis fort, die er derzeit bei diesen Audienzen hielt. [...] Eine Meditation, die mir sehr schön, aber auch sehr tief vorkam, denn ich glaube, daß viele Leute Schwierigkeiten empfinden, ihn zu begreifen. Jemand sagte mir, der Papst spreche das Volk bei seinen Worten zur Einführung und bei seinen persönlichen Grüßen sehr an, während der Rede aber spüre man eine Fremdheit, ein Unverständnis. Das tut einem leid, denn in solchen Augenblicken sind die Leute sehr aufmerksam, jede Idee, und wäre sie noch so schlicht, kann den Hörern sehr gut tun, wenn sie nur verstanden wird. Am Ende der Audienz rief er die Bischöfe, mit ihm zusammen das Volk zu segnen. Ich hatte das Glück, direkt rechts von ihm zu stehen. Als wir Bischöfe anschließend den Papst begrüßten, sagte er, daß er nach der Audienz mit mir eigens sprechen wolle. [....] Er empfing mich mit großer Liebenswürdigkeit und sagte mir, er begreife vollkommen, wie schwierig die politische Lage in meiner Heimat sei; die Rolle der Kirche mache ihm Sorge, wir sollten nicht nur die Verteidigung der sozialen Gerechtigkeit und die Liebe zu den Armen bedenken, sondern auch, was das Ergebnis eines Volksumsturzes der Linken sein könnte, auch er könnte zu einem Übel für die Kirche führen. Ich sagte ihm: „Heiliger Vater, das ist genau das Gleichgewicht, das ich zu halten versuche, denn einerseits verteidige ich die soziale Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die Liebe zum Armen, und andererseits macht mir auch die Rolle der Kirche viel Sorge, damit wir nicht bei unserer Verteidigung der Menschenrechte in irgendwelche Ideologien geraten, welche die menschlichen Gefühle und Werte zerstören." [....] Ich habe gespürt, daß der Papst sehr mit dem einverstanden ist, was ich sage, und am Ende umarmte er mich brüderlich und sagte, er bete täglich für El Salvador.

Donnerstag, den 31.

     Ich begab mich zum Staatssekretariat, wo ich einen Termin bei Kardinal Casaroli hatte. [...] Er vertraute mir an, daß der Botschafter der Vereinigten Staaten ihn besucht und eine gewisse Sorge darüber geäußert habe, daß ich mich auf einer volksrevolutionären Linie befände, während die Vereinigten Staaten die Christdemokraten unterstützten. Ich klärte Herrn Kardinalstaatssekretär auf, daß es nicht um eine politische Opposition gehe, sondern einfach darum, bei der Lösung der Probleme meines Volkes die Gerechtigkeit zu suchen. Kardinal Casaroli sagte mir, daß er darauf nicht bestehe, denn der Besuch des Botschafters habe keinen offiziellen Charakter gehabt, und überhaupt müsse die Kirche sich nicht danach richten, ob sie den Mächten der Erde gefällt, sondern in Glauben und Gewissen dem Evangelium folgen. Der Kardinal sorgte sich auch darum, ob die Verteidigung der Menschenrechte und die Ansprüche des Volkes nicht eine Hypothek für die Kirche und die christliche Einstellung den Ideologien gegenüber bedeuten. Daraufhin sagte ich ihm, wie gestern dem Heiligen Vater, es sei auch meine Sorge, die soziale Gerechtigkeit zu predigen, die Verteidigung der Menschenrechte, zugleich aber die revolutionären Volkskräfte auf die Gefahr hinzuweisen, in seltsame Ideologien zu verfallen. Ich erklärte ihm auch, daß wir nicht von Antikommunismus sprechen dürfen, ohne die Gefahr, daß man uns zu Komplizen der Ungerechtigkeiten der Reichen machen möchte, die von Antikommunismus reden, aber nicht um christliche Prinzipien zu verteidigen, sondern ihre materialistischen Interessen. Ich spürte, daß Herr Kardinal mit unserem Gespräch zufrieden war; er versicherte mir, daß auch er viel für El Salvador bete.

 

Auszüge aus Oscar Arnulfo Romero, In meiner Bedrängnis:
Tagebuch eines Märtyrerbischofs 1978 - 1980, Freiburg - Basel - Wien 1993