Für ein offenes Rom

 

„Daß in Fortführung der Berliner Mauer keine Römische Mauer entstanden ist, verdanken wir unter anderem auch der Kirche von Pius XII., der seine Rechtspflicht wahrnahm und die Freiheit verteidigte." Der damalige Bundeskurat der Männerunion der Katholischen Aktion Italiens berichtet von den Ereignissen zu jener Zeit.

 

von Kardinal Fiorenzo Angelini

 

Rom, 1952. Pius XII. nimmt von Angelini die Schlüssel der Pfarrkirche von San Leone al Prenestino entgegen. Die Kirche wurde von der Katholischen Aktion errichtet und dem Papst geweiht, der die Heiden vor den Toren Roms aufhielt.

     Die Erinnerung an die Vergangenheit wird zu Recht als Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart betrachtet. Dennoch ist sie oft wählerisch und selektiv, vor allem dann, wenn sie das eigene Verständniskriterium auf den Kopf stellt und sich anmaßt, nicht nur die Gegenwart im Licht der Vergangenheit zu verstehen, sondern die Vergangenheit vor dem Hintergrund der Gegenwart. Und dies geschieht insbesondere dann, wenn man „Übergänge" der Geschichte, die man erst nach Jahrzehnten als solche erkennt, Analysen unterzieht und unumstößlich feststellt, „wie sehr sie von Tränen und Blut gezeichnet sind".

     Das Wort Befreiung hat dieselbe Wurzel wie das Wort Freiheit, und der Leser möchte sicherlich nähere Einzelheiten über ein Engagement erfahren, das bürgerlich und zugleich priesterlich war. Denn wenn der Priester im Dienst an der Wahrheit steht, dann kann uns nur die Wahrheit frei machen. Und wenn in Fortführung der Berliner Mauer keine Römische Mauer entstanden ist, so ist es der von Pius XII. geleiteten Kirche zu verdanken. Der Papst nahm nicht nur seine Rechtspflicht wahr, seine und unsere Freiheit zu verteidigen, sondern betrachtete diese Verpflichtung auch als seine erste und unverzichtbare Aufgabe.
     Der Jesuit und große Exeget Augustinus Bea, Beichtvater und Berater von Pius XII., den Johannes XXIII. später zum Kardinal ernannte, hat einmal geschrieben: „Es braucht noch Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte, bis man dieses großartige Werk Pius' XII. und seinen Einfluß auf die Kirche, und sagen wir es ruhig auch, auf die Geschichte der Menschheit ermessen kann." Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte, nicht des Schweigens, sondern ernsthafter Überlegungen sind aber nur durch eine erschöpfende Rekonstruktion der Fakten möglich.
     In der Schule lernten wir, daß die objektive Geschichte erst fünfzig Jahre nach den Ereignissen geschrieben werden kann. Abgesehen davon, muß man sich zunächst jedoch davor hüten, die Ereignisse aus ihrem Kontext herauszulösen, weil man sonst Gefahr läuft, um es mit Manzoni zu sagen, „nicht auf die Fakten zu achten".
     Der 18. April 1948 steht - zumindest für den, der wie der Autor dieses Beitrags, maßgeblich und aktiv am Geschehen beteiligt war - im Mittelpunkt der damaligen „Ereignisse". Er war mehr als ein Ausgangspunkt, er war vor allem das Ziel eines mitten im Krieg begonnenen und unmittelbar nach Ankunft der Alliierten in Rom fortgesetzten Weges.
     Als Papst Pius XII. vor Ende des Bombenalarms am 23. August 1943 die von den Luftangriffen betroffenen Viertel der Hauptstadt besuchte, war ich noch keine 27 Jahre alt. Als Kaplan der Geburtskirche in der Via Gallia in Rom begleitete ich ihn auf seinem Besuch.
     Meine ersten Jahre im Priesteramt verbrachte ich „unter dem Volk", das, ob arm oder reich, einfach oder gebildet, jung oder alt, nur einen Wunsch hatte, der von seinem christlichen Glauben beseelt war: Freiheit.
     In meiner Pfarrei rief ich schnell einen Männerverein ins Leben und gab ihm den Namen „Mater mea, fiducia mea". Bei der Einweihung dieses Vereins begegnete ich zum ersten Mal Prof. Luigi Gedda, dem damaligen Vorsitzenden der italienischen Jugend der Katholischen Aktion. Doch ich schaute auch auf die, die ich mir „immer jugendlich" wünschte, und fast zur gleichen Zeit wurde ich Geistlicher Assistent des Ortsverbands der katholischen Männerunion.
     Im Namen der Freiheit und mit Unterstützung von mutigen und hochherzigen Mitgliedern der Pfarrei stand der Notleidende nie vor verschlossener Tür. Unter Lebensgefahr versteckten wir von den Nazis gesuchte Personen; ich richtete eine Armenküche ein, die bis zu zweitausend Teller Suppe pro Tag austeilte. Nach der „Befreiung Roms" gründete ich mit dem mittlerweile verstorbenen Gewerkschaftsführer Enrico Frascatani das erste Sekretariat der kostenlosen Volksfürsorge, das Tag und Nacht für alle Bürger geöffnet war, gleich welcher sozialen Schicht sie angehörten und aus welchem Grund sie kamen: aus medizinischer, rechtlicher, finanzieller Not oder Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Betreuten belief sich auf Tausende. Auf der Laienbühne der Pfarrei traten Schauspieler wie Carlo Campanini oder Nico Pepe auf, und bevor Nino Manfredi die Akademie besuchte, gehörte er zu meinen Jugendlichen. Wir veranstalteten Ausstellungen über katholische Literatur und über die katholische Presse und riefen die Zeitschrift Orizzonti ins Leben, in der Giuseppe Mira, Igino Giordani und der junge Ugo Zatterin ihre Beiträge veröffentlichten. Ich stellte auch eine Fußballmannschaft auf die Beine, die ich in Abwandlung meines Taufnamens Florentia nannte. Die Spiele fanden auf den Feldern von Gelsomino an der Via Aurelia statt. Diese Aktivitäten waren nicht bloß Schau, sondern von der Überzeugung getragen, daß die Katholiken als Bürger in vorderster Front zu einem konkreten Engagement aufgerufen sind, das sich in der Förderung und der Verteidigung der Freiheit äußern muß.

Eine Entscheidung mit offenen Augen

     Der 18. April 1948 war ein entscheidender Augenblick für die Geschichte unseres Landes. Damals ging es um die Entscheidung zwischen zwei Welten, und hinter uns lagen wenig ermutigende Beispiele. In Prag war Jan Masaryk vom Balkon gefallen oder besser herabgestürzt worden. Mit ihm war auch die Freiheit der Tschechoslowakei gestorben.
     Vielleicht ist dies der Moment, um die Verdienste von Professor Gedda, der Bürgerausschüsse und der Gottesmutterstatuen zu würdigen, deren Augen sich bewegten, als wollten sie damit sagen: „Haltet die Augen offen!" Ich glaube, es gab in der damaligen Politik große Persönlichkeiten.

ENZO BIAGI
italienischer Journalist und Schriftsteller

     Wenn hinter dem Wort und dem Begriff „Widerstand" das Wort und der Begriff der Freiheit in seiner eigentlichen Bedeutung steht, dann war unser Wirken eine wirkliche und konstruktive Beteiligung am Widerstand.
     Mit 29 Jahren verließ ich die Pfarrei, um mein Amt als stellvertretender Bundeskurat der Männerunion der Katholischen Aktion anzutreten, dessen Vorsitzender Professor Gedda im Oktober 1946 geworden war. Im Januar 1947 wurde ich dann zum Bundeskuraten des Männerverbands der Katholischen Aktion ernannt. In diesem Jahr feierte der Verband sein fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Man dachte daher sofort an eine Initiative, die im bereits vorherrschenden Klima einer parteipolitischen Auslegung des Widerstands und der Freiheit deutlich machen sollte, daß die „Männer", die in Italien entscheidend zur „Befreiung" beigetragen hatten und entschlossen die Freiheit zu retten versuchten, in großer Zahl aus den Reihen der Katholischen Aktion kamen.
     Mit gebührender Vorankündigung teilten wir dem Heiligen Vater Pius XII. unsere Absicht mit, im September 1947 in Rom ein Treffen des männlichen Zweigs der Katholischen Aktion zu veranstalten. Der Papst begrüßte diese Initiative und ließ uns dies durch ein Schreiben des Substituten im Staatssekretariat, Msgr. Domenico Tardini, vom 22. April 1947 wissen. Bei einer Privataudienz versicherte er uns, er würde aus diesem Anlaß Castel Gandolfo verlassen und an der Versammlung teilnehmen.
     Am 7. September kamen 70.000 Männer der Katholischen Aktion mit 30 Sonderzügen und Tausenden von Autos nach Rom, und mit den Mitgliedern von Rom und der unmittelbaren Umgebung waren es dann 100.000, die an dem Treffen teilnahmen. Es waren drei unvergeßliche Tage, und Rom erlebte verwundert, was der L'Osservatore Romano mit einem Titel über neun Spalten auf der Titelseite als „die größte Versammlung der Geschichte der Neuzeit" bezeichnete.
     Die nächtliche Messe an den Thermen des Caracalla, bei der auch Ministerpräsident Alcide De Gasperi und viele Minister der Regierung zugegen waren, die große Versammlung auf dem Palatin, die wohlgeordnete und unendlich lange Menschenschlange, die durch die Hauptstadt zog; die drei „Regenbögen", die am Sonntag abend, den 7. September, am Ende der Ansprache des Papstes auf dem Petersplatz den Himmel von Rom durchzogen, schienen eine Wirklichkeit zu zeichnen, die noch einige Monate zuvor nur ein Traum gewesen wären. Giuseppe Saragat antwortete während einer Parlamentsdebatte auf tendenziöse Unterstellungen der Sozialisten und Kommunisten, die sich das Arbeitermonopol unter den Nagel reißen wollten, und sagte: „Ich war auf dem Petersplatz, verwirrt mitten unter den Männern der Katholischen Aktion, und stellte fest, daß die Mehrheit von ihnen echte Arbeiter waren." Diese Demonstration war auch Gegenstand eines langen Dokumentarfilms mit dem Titel Uomini della pace (Männer des Friedens) unter der Regie von Marscellini in Abstimmung mit dem katholischen Filmzentrum, der in der ganzen Welt von Warner Bros. gezeigt wurde.
     Ein Ausdruck aus der Ansprache von Pius XII. vor den Männern der Katholischen Aktion war programmatisch, und als solchen faßten wir ihn auch auf: „Die Zeit der Überlegungen und Pläne ist vorbei: Die Stunde der Tat ist nun gekommen... Es ist keine Zeit zu verlieren."
     Die Versammlung von Rom stellte einen Qualitätssprung dar. Der Tag der Veröffentlichung der italienischen Verfassung, der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte rückte immer näher. Doch in Italien standen auch politische Wahlen unmittelbar bevor. Sie hätten aufgrund der Bildung der Demokratischen Volksfront Italien dem Kommunismus ausliefern können, der im Schatten der großen sowjetischen Schirmherrschaft, die sich vom Osten her in Europa ausbreitete, immer stärker wurde.
     Im Verlag Longanesi erschien in Italien ein Buch des hohen sowjetischen Funktionärs Victor A. Krawtschenko, Ich habe die Freiheit gewählt, das unter Bezugnahme auf die Ereignisse von 1944 die Verbrechen des sowjetischen Kommunismus aufdeckte. Die Veröffentlichung des Buchs ging in Italien jedoch im Cippico-Skandal (nach dem Namen eines Kardinals, der in den Finanzskandal verwickelt war) unter, den man mit hartnäckiger Boshaftigkeit manipulierte, um die Kirche in ein schlechtes Licht zu stellen.
     Wir blieben jedoch nicht untätig. Die Botschaft des Papstes, zur Handlung überzugehen, nahmen wir entsprechend wörtlich. Drei Monate vor den Wahlen entstand am 8. Februar offiziell ein Bürgerausschuß mit einer kurzfristigen und einer längerfristigen Aufgabe. Die kurzfristige Aufgabe war, die Italiener zu mobilisieren, um die bevorstehenden Wahlen zu gewinnen. Die längerfristige bestand in der Bemühung um eine Lösung der schwerwiegenden Fragen in der Wirtschaft (zwei Millionen Arbeitslose, die Krise in der Landwirtschaft und in der Industrie, die wirtschaftliche Abhängigkeit Italiens vom Ausland), der Politik (die Gleichgültigkeit der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber der strengen Organisation der marxistischen Parteien) und der Sittlichkeit (die Krise der traditionellen Werte wie Familie, Schule, Gesundheit, usw.), die Italien damals zu bewältigen hatte.
     Mit außerordentlicher Schnelligkeit, die insbesondere den Männern der Katholischen Aktion zu verdanken ist, entstanden aus dem zentralen Bürgerausschuß die Ausschüsse der Stadtviertel und in fast jeder Pfarrei örtliche Bürgerausschüsse. Sie wurden von Rom aus durch klare und sichere Direktiven geführt, mit vielfältigem Werbematerial ausgestattet und mit großer Fachlichkeit geschult, um mit Überzeugungskraft wirken zu können. Wer heute über einige unvermeidliche Auswüchse in der mündlichen und schriftlichen Propaganda spottet, täte gut daran, auch die Propaganda der Gegenseite unter die Lupe zu nehmen. Eines ist jedenfalls klar: Damals stand die Freiheit auf dem Spiel. Das Jahr 1948 nur vor dem Hintergrund des Slogans „Lepanto 1948" oder der Madonna Pellegrina, die außerdem eine sehr beliebte Äußerung des Glaubens war, zu betrachten, stellt eine Vereinfachung dar und ist nicht nur verwerflich, sondern auch nicht gerade geistreich angesichts der Notwendigkeit und Dringlichkeit, die Freiheit zu retten.

Und wenn wir verloren hätten?

     Es ist recht leicht, an den 18. April 1948 zu erinnern und die Bedeutung des damaligen Sieges herauszustreichen. Es handelt sich um ein recht erforschtes, verherrlichtes und allzuoft verurteiltes Szenarium. Schwieriger hingegen erscheint es, sich vorzustellen und auszumalen, wie unser Leben im Falle einer Niederlage oder eines nicht errungenen Sieges verlaufen wäre. Die Schwierigkeit besteht in unseren begrenzten Informationen und in der Macht unserer menschlichen Leidenschaften, die Historiker und Chronisten nur allzuoft vernachlässigen. Alles hängt davon ab, ob man die richtige psychologische und moralische Ausgeglichenheit findet und so bequeme Ausflüchte bzw. den unüberwindlichen Widerstand unserer Vorstellungen und jeweiligen politischen Zugehörigkeit vermeidet. Eines läßt sich jedenfalls jetzt schon sagen: Daß unser Leben ohne dieses Ereignis anders verlaufen wäre. Vor dem Hintergrund der Ereignisse erschien und erscheint den Gegnern der Democrazia cristiana das Fazit der Vergehen und Fehler gleichsam als positives Faktum, als sich bietender Rettungsanker für eine Menschheitsfamilie, die Beute von Unordnung und Gewalt geworden ist. Es ist unnötig, wenn man sagt, dies seien rein und streng menschliche Erwägungen, während das Urteil einem Richter zukäme, der alles besser weiß und für die armseligen, von der Wirklichkeit erdrückten Wesen verantwortlich ist.

CARLO BO
italienischer Schriftsteller

     Der Papst verheimlichte in seiner Botschaft an die Einwohner von Rom zwanzig Tage vor den Wahlen (28. März 1948), die die kommunistischen und antiklerikalen Kreise sofort als ungebührende Einmischung verwarfen, in der Tat nicht seine ernste Sorge über die Wahlkampagne und den Ausgang der bevorstehenden Wahlen in Italien. Das Beharren des Papstes auf der Wiedergewinnung des „christlichen Bewußtseins" deckte sich mit der Linie, die die Bürgerausschüsse während des Wahlkampfes mit vollem Einsatz verfolgten. Liest man heute diese Botschaft, so wundert einen der Realismus, mit dem der Papst über die Kirche sprach. Er anerkannte „die Verfehlungen einiger entarteter Glieder, die er als erster beklagte, tadelte und streng bestrafte".
     Der Ausgang der Wahlen ist bekannt, und - wie in La Civiltà Cattolica vom 1. Mai zu lesen war - niemand konnte den entscheidenden Beitrag der Bürgerausschüsse leugnen, der zum haushohen Wahlsieg der Democrazia cristiana führte.
     Ich bewahre noch heute als dankbares Andenken die Uhr auf, die Alcide De Gasperi Professor Luigi Gedda und mir als Zeichen der Dankbarkeit übersandt hat. Auf der Rückseite der Uhr ist die Inschrift zu lesen: „18. April 1948." Zusammen mit dem Geschenk erhielt ich unter dem 20. April ein Begleitschreiben von Giulio Andreotti, dem damaligen Untersekretär des Ministerrats.
     Zwei Tage nach dem 18. April empfing Pius XII. die Vertreter der drei großen Nachrichtenagenturen und sprach, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, Worte, die, wenn man sie nach fünfzig Jahren wieder liest, einen unverwechselbaren prophetischen Unterton besaßen: „Ihr habt soeben ein denkwürdiges Ereignis erlebt, das in die Geschichte eingehen wird. Das ganze Volk hat einen Beweis für sein bürgerliches Pflichtbewußtsein geliefert, und der Himmel strahlt über Italien wegen der Hoffnung auf jene Ruhe und Ordnung, die den materiellen und moralischen Aufbau ermöglichen und beschleunigen werden können, der so nötig ist, weil allen, insbesondere den Arbeitern und Arbeitslosen, Gerechtigkeit zuteil werden muß. Doch dieses Ereignis hat ebenso das Vertrauen Europas, ja der ganzen Welt, gestärkt. Botschaften, die Wir von allen Kontinenten erhalten, sagen Uns, daß Unsere Kinder gemeinsam und spontan in dieser entscheidenden Stunde an den unendlichen Gott, den Lenker aller Nationen, ihr Gebet gerichtet und seinen Beistand für die Verteidigung der Sache gegen Irrtum und Ungerechtigkeit erfleht haben. In ähnlicher Weise wendet sich auch Unser väterliches und vom Anblick so vieler, die in ihrem Egoismus oder in ihrer Blindheit hartnäckig jenem Weg folgen, der nur zu einer geistigen und materiellen Katastrophe führen kann, betrübtes Herz an Ihn. Gott möge in seiner Barmherzigkeit und Liebe, ihren Geist erleuchten, damit sie ihren Irrtum einsehen. Er möge vom Angesicht der Erde das Gespinst des Mißtrauens oder, was noch schlimmer ist, des Konflikts hinwegnehmen. Möge Gott - wenn die Menschen seinen Wunsch, ihnen zu Hilfe zu kommen, doch demütig erkennten! - möge Gott es geben, daß eine hochherzige und brüderliche Zusammenarbeit zu einem wahren, sicheren und dauerhaften Frieden führt."
     Hinter diesen Worten verbergen sich die tragische Wirklichkeit der Verfolgung der Kirche in den Ländern von Osteuropa, das Ende der Freiheit in der Tschechoslowakei, die Vorahnung der sogar ungehörigen Reaktionen vieler hoher italienischer kommunistischer Vertreter unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Diese Reaktionen brachten ans Licht, welche Haltung sie in der Frage der Religionsfreiheit eingenommen hätten, hätten sie die Wahlen gewonnen - ganz abgesehen von den innen- und außenpolitischen Folgen.
     Wer dennoch den Einsatz der Bürgerausschüsse als eine Art katholischen Kreuzzug des einen Blocks gegen den anderen betrachtet, irrt. Denn er vergißt, daß mutige Initiativen auch in den eigenen Reihen, wo sie entstanden sind und sich entfaltet haben, auf Schwierigkeiten stießen.
     In Wirklichkeit waren auch in kirchlichen Kreisen Angst und Mißtrauen vorhanden, und man schlug sogar vor, die Bürgerausschüsse nach den Wahlen aufzulösen. Man befürchtete, ihre Aktivitäten könnten der Natur und Zielsetzung der Katholischen Aktion widersprechen. Betonte man das Adjektiv „katholisch" zu sehr, neigte man gleichzeitig dazu, das Substantiv „Aktion" in den Schatten zu stellen, das hingegen, wenn man genau hinschaut, die Seele des Laienapostolats ist.
     Zu denken gibt, welche Bedeutung ihr Johannes Paul II. viele Jahre später in seiner Enzyklika Evangelium vitae beimißt, wenn er schreibt, „daß die Gläubigen, sogar wenn sie aktiv am kirchlichen Leben teilhaben, allzuoft in einen gewissen Zwiespalt zwischen dem christlichen Glauben und seinen ethischen Forderungen geraten... und so zu einem moralischen Subjektivismus und zu manch unannehmbaren Verhaltensweisen gelangen".
     Die Frage bestand nicht im Fortbestand der Bürgerausschüsse, sondern vielmehr in der Pflicht der Katholiken zu ernsthaftem und mutigem politischen Handeln.
     Pius XII. hat dies verstanden, wenn er in seiner Ansprache vom 3. Mai 1951 sagt: „Die Katholische Aktion soll keine parteipolitische Kraft sein", und hinzufügt: „Die katholischen Bürger dürfen sich als solche sehr wohl in einer Vereinigung zur politischen Aktivität zusammenschließen". Diese Vereinigung sollte und durfte aber weder die politische Einheit der Katholiken schädigen noch der Versuchung erliegen, sich als Konkurrenz zur Democrazia cristiana zu begreifen. Und der Beweis für ein Engagement in diesem Sinn sind die Kommunalwahlen von Rom im Jahr 1956, als das katholische Verbandswesen noch einmal entscheidend dazu beitrug, den Einzug der Linken ins Kapitol zu verhindern.
     Wie Pius XII. selbst erklärte, war er der festen und begründeten Überzeugung, daß Rom, geistig und moralisch gesprochen, wie Titus Livius schrieb, „caput orbis terrarum" ist und nicht, wie Tacitus es beklagte, der „Abschaum aller Bosheit". Worauf es letztlich ankam, war die Verteidigung der Freiheit. Das war ihre Sendung, und das hatten sie auch begriffen. Sie waren ihre verständigen und mutigen Verfechter, katholische Politiker, die man eigentlich alle aufzählen müßte. Ich will hier, weil es unter uns Gewohnheit ist und weil ich es ihnen schuldig bin, nur einige Persönlichkeiten nennen: Alcide De Gasperi, Giulio Andreotti, Guido Gonella, Aldo Moro, Attilio Piccioni, Amintore Fanfani, Giorgio La Pira, Giuseppe Dossetti und die Gewerkschaftsführer Achille Grandi und Giulio Pastore - Persönlichkeiten, die ihre politische Tätigkeit zu einem wahren Apostolat machten und Weisungen und Ziele durch ihre Zugehörigkeit zur Katholischen Aktion, zur katholischen italienischen Studentenbewegung, zur Bewegung der katholischen Akademiker und zu den christlichen Arbeiterverbänden erhielten.
     Die Vorsehung hat es gewollt, daß ich in meinem Priester- und Bischofsamt sowohl Pius XII. als auch Johannes Paul II. zur Seite stand. Blicke ich auf die fünfzig Jahre seit dem 18. April 1948 zurück, so erkenne ich eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen den beiden Päpsten in ihrem Kampf gegen den kommunistischen Materialismus und gegen den uneingeschränkten Kapitalismus sowie in ihrem heldenmütigen Einsatz zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte und insbesondere der Freiheit. Wer die Ansprache von Pius XII. 1943 an Pfingsten vor über zwanzigtausend Arbeitern, die aus ganz Italien in den vatikanischen Hof Belvedere gekommen waren, um ihm zum Abschluß seines Jubiläums die Ehre zu erweisen, liest, der entdeckt eine Vorahnung, die erklärt, warum die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils ihn am meisten zitieren und sein Lehramt mit unerwarteter Klarheit alle späteren päpstlichen Verlautbarungen zur sozialen Frage vorweggenommen hat.
     Der 18. April war nur ein Einsatzgebiet Pius' XII. und der Kirche in ihrer unverzichtbaren Pflicht, die Freiheit zu verteidigen. Wollt man es zum einzigen Verständnisschlüssel machen, so wäre dies verkürzend, insofern sich diese Episode, wenn wir sie so nennen wollen, in die Universalität und Gesamtheit der ewigen Sendung der Kirche einfügt. Nachdem die Mitglieder der Katholischen Aktion mit Hochherzigkeit und Mut diese Aufgabe am 18. April 1948 erfüllt hatten, kämpften sie auch weiterhin zur Verteidigung der Freiheit in der Gerechtigkeit und lieferten zwei Jahre später einen weiteren Beweis dafür, als 1950 dreißigtausend Gewerkschaftsführer, Assesoren und Berater der Kommunen aus ganz Italien im Heiligen Jahr nach Rom pilgerten, als sie Pius XII., dem Bischof von Rom, zwei Jahre später zum dreißigjährigen Bestehen ihrer Union die Kirche zum heiligen Leo dem Großen schenkten. In nur zehn Monaten war diese Kirche im volkstümlichen Viertel Prenestino errichtet worden - eine Kirche und Pfarrei, die dem Papst geweiht wurde, der Eutyches, Attila und Geiserich Einhalt geboten hatte. Pius XII. wollte die Kirchweihe persönlich vornehmen, weil er sich bewußt war, welch besondere Nähe ihn mit seinem mutigen Vorgänger verband. Der Grundstein stammt aus dem Felsen der Cima Grappa, Symbol für das bürgerliche und religiösen Erbe unseres Landes und Mahnung, nie zu vergessen, daß die Freiheit nicht nur ein Recht der Kirche, sondern eine unverzichtbare Pflicht ist.