Für ein offenes Rom
Daß in Fortführung der Berliner Mauer keine Römische Mauer entstanden ist, verdanken wir unter anderem auch der Kirche von Pius XII., der seine Rechtspflicht wahrnahm und die Freiheit verteidigte." Der damalige Bundeskurat der Männerunion der Katholischen Aktion Italiens berichtet von den Ereignissen zu jener Zeit. |
von Kardinal Fiorenzo Angelini |
Rom, 1952. Pius XII. nimmt von Angelini die Schlüssel der Pfarrkirche von San Leone al Prenestino entgegen. Die Kirche wurde von der Katholischen Aktion errichtet und dem Papst geweiht, der die Heiden vor den Toren Roms aufhielt. |
Die Erinnerung an die Vergangenheit wird zu Recht als Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart betrachtet. Dennoch ist sie oft wählerisch und selektiv, vor allem dann, wenn sie das eigene Verständniskriterium auf den Kopf stellt und sich anmaßt, nicht nur die Gegenwart im Licht der Vergangenheit zu verstehen, sondern die Vergangenheit vor dem Hintergrund der Gegenwart. Und dies geschieht insbesondere dann, wenn man Übergänge" der Geschichte, die man erst nach Jahrzehnten als solche erkennt, Analysen unterzieht und unumstößlich feststellt, wie sehr sie von Tränen und Blut gezeichnet sind".
Das
Wort Befreiung hat dieselbe Wurzel wie das Wort Freiheit, und der Leser möchte sicherlich
nähere Einzelheiten über ein Engagement erfahren, das bürgerlich und zugleich
priesterlich war. Denn wenn der Priester im Dienst an der Wahrheit steht, dann kann uns
nur die Wahrheit frei machen. Und wenn in Fortführung der Berliner Mauer keine Römische
Mauer entstanden ist, so ist es der von Pius XII. geleiteten Kirche zu verdanken. Der
Papst nahm nicht nur seine Rechtspflicht wahr, seine und unsere Freiheit zu verteidigen,
sondern betrachtete diese Verpflichtung auch als seine erste und unverzichtbare Aufgabe.
Der
Jesuit und große Exeget Augustinus Bea, Beichtvater und Berater von Pius XII., den
Johannes XXIII. später zum Kardinal ernannte, hat einmal geschrieben: Es braucht
noch Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte, bis man dieses großartige Werk Pius' XII.
und seinen Einfluß auf die Kirche, und sagen wir es ruhig auch, auf die Geschichte der
Menschheit ermessen kann." Jahrzehnte oder vielleicht sogar Jahrhunderte, nicht des
Schweigens, sondern ernsthafter Überlegungen sind aber nur durch eine erschöpfende
Rekonstruktion der Fakten möglich.
In der
Schule lernten wir, daß die objektive Geschichte erst fünfzig Jahre nach den Ereignissen
geschrieben werden kann. Abgesehen davon, muß man sich zunächst jedoch davor hüten, die
Ereignisse aus ihrem Kontext herauszulösen, weil man sonst Gefahr läuft, um es mit
Manzoni zu sagen, nicht auf die Fakten zu achten".
Der 18.
April 1948 steht - zumindest für den, der wie der Autor dieses Beitrags, maßgeblich und
aktiv am Geschehen beteiligt war - im Mittelpunkt der damaligen Ereignisse". Er
war mehr als ein Ausgangspunkt, er war vor allem das Ziel eines mitten im Krieg begonnenen
und unmittelbar nach Ankunft der Alliierten in Rom fortgesetzten Weges.
Als
Papst Pius XII. vor Ende des Bombenalarms am 23. August 1943 die von den Luftangriffen
betroffenen Viertel der Hauptstadt besuchte, war ich noch keine 27 Jahre alt. Als Kaplan
der Geburtskirche in der Via Gallia in Rom begleitete ich ihn auf seinem Besuch.
Meine
ersten Jahre im Priesteramt verbrachte ich unter dem Volk", das, ob arm oder
reich, einfach oder gebildet, jung oder alt, nur einen Wunsch hatte, der von seinem
christlichen Glauben beseelt war: Freiheit.
In
meiner Pfarrei rief ich schnell einen Männerverein ins Leben und gab ihm den Namen
Mater mea, fiducia mea". Bei der Einweihung dieses Vereins begegnete ich zum
ersten Mal Prof. Luigi Gedda, dem damaligen Vorsitzenden der italienischen Jugend der
Katholischen Aktion. Doch ich schaute auch auf die, die ich mir immer
jugendlich" wünschte, und fast zur gleichen Zeit wurde ich Geistlicher Assistent des
Ortsverbands der katholischen Männerunion.
Im
Namen der Freiheit und mit Unterstützung von mutigen und hochherzigen Mitgliedern der
Pfarrei stand der Notleidende nie vor verschlossener Tür. Unter Lebensgefahr versteckten
wir von den Nazis gesuchte Personen; ich richtete eine Armenküche ein, die bis zu
zweitausend Teller Suppe pro Tag austeilte. Nach der Befreiung Roms" gründete
ich mit dem mittlerweile verstorbenen Gewerkschaftsführer Enrico Frascatani das erste
Sekretariat der kostenlosen Volksfürsorge, das Tag und Nacht für alle Bürger geöffnet
war, gleich welcher sozialen Schicht sie angehörten und aus welchem Grund sie kamen: aus
medizinischer, rechtlicher, finanzieller Not oder Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Betreuten
belief sich auf Tausende. Auf der Laienbühne der Pfarrei traten Schauspieler wie Carlo
Campanini oder Nico Pepe auf, und bevor Nino Manfredi die Akademie besuchte, gehörte er
zu meinen Jugendlichen. Wir veranstalteten Ausstellungen über katholische Literatur und
über die katholische Presse und riefen die Zeitschrift Orizzonti ins Leben, in der
Giuseppe Mira, Igino Giordani und der junge Ugo Zatterin ihre Beiträge veröffentlichten.
Ich stellte auch eine Fußballmannschaft auf die Beine, die ich in Abwandlung meines
Taufnamens Florentia nannte. Die Spiele fanden auf den Feldern von Gelsomino an der Via
Aurelia statt. Diese Aktivitäten waren nicht bloß Schau, sondern von der Überzeugung
getragen, daß die Katholiken als Bürger in vorderster Front zu einem konkreten
Engagement aufgerufen sind, das sich in der Förderung und der Verteidigung der Freiheit
äußern muß.
Wenn
hinter dem Wort und dem Begriff Widerstand" das Wort und der Begriff der
Freiheit in seiner eigentlichen Bedeutung steht, dann war unser Wirken eine wirkliche und
konstruktive Beteiligung am Widerstand.
Mit 29
Jahren verließ ich die Pfarrei, um mein Amt als stellvertretender Bundeskurat der
Männerunion der Katholischen Aktion anzutreten, dessen Vorsitzender Professor Gedda im
Oktober 1946 geworden war. Im Januar 1947 wurde ich dann zum Bundeskuraten des
Männerverbands der Katholischen Aktion ernannt. In diesem Jahr feierte der Verband sein
fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Man dachte daher sofort an eine Initiative, die im
bereits vorherrschenden Klima einer parteipolitischen Auslegung des Widerstands und der
Freiheit deutlich machen sollte, daß die Männer", die in Italien entscheidend
zur Befreiung" beigetragen hatten und entschlossen die Freiheit zu retten
versuchten, in großer Zahl aus den Reihen der Katholischen Aktion kamen.
Mit
gebührender Vorankündigung teilten wir dem Heiligen Vater Pius XII. unsere Absicht mit,
im September 1947 in Rom ein Treffen des männlichen Zweigs der Katholischen Aktion zu
veranstalten. Der Papst begrüßte diese Initiative und ließ uns dies durch ein Schreiben
des Substituten im Staatssekretariat, Msgr. Domenico Tardini, vom 22. April 1947 wissen.
Bei einer Privataudienz versicherte er uns, er würde aus diesem Anlaß Castel Gandolfo
verlassen und an der Versammlung teilnehmen.
Am 7.
September kamen 70.000 Männer der Katholischen Aktion mit 30 Sonderzügen und Tausenden
von Autos nach Rom, und mit den Mitgliedern von Rom und der unmittelbaren Umgebung waren
es dann 100.000, die an dem Treffen teilnahmen. Es waren drei unvergeßliche Tage, und Rom
erlebte verwundert, was der L'Osservatore Romano mit einem Titel über neun Spalten auf
der Titelseite als die größte Versammlung der Geschichte der Neuzeit"
bezeichnete.
Die
nächtliche Messe an den Thermen des Caracalla, bei der auch Ministerpräsident Alcide De
Gasperi und viele Minister der Regierung zugegen waren, die große Versammlung auf dem
Palatin, die wohlgeordnete und unendlich lange Menschenschlange, die durch die Hauptstadt
zog; die drei Regenbögen", die am Sonntag abend, den 7. September, am Ende der
Ansprache des Papstes auf dem Petersplatz den Himmel von Rom durchzogen, schienen eine
Wirklichkeit zu zeichnen, die noch einige Monate zuvor nur ein Traum gewesen wären.
Giuseppe Saragat antwortete während einer Parlamentsdebatte auf tendenziöse
Unterstellungen der Sozialisten und Kommunisten, die sich das Arbeitermonopol unter den
Nagel reißen wollten, und sagte: Ich war auf dem Petersplatz, verwirrt mitten unter
den Männern der Katholischen Aktion, und stellte fest, daß die Mehrheit von ihnen echte
Arbeiter waren." Diese Demonstration war auch Gegenstand eines langen Dokumentarfilms
mit dem Titel Uomini della pace (Männer des Friedens) unter der Regie von Marscellini in
Abstimmung mit dem katholischen Filmzentrum, der in der ganzen Welt von Warner Bros.
gezeigt wurde.
Ein
Ausdruck aus der Ansprache von Pius XII. vor den Männern der Katholischen Aktion war
programmatisch, und als solchen faßten wir ihn auch auf: Die Zeit der Überlegungen
und Pläne ist vorbei: Die Stunde der Tat ist nun gekommen... Es ist keine Zeit zu
verlieren."
Die
Versammlung von Rom stellte einen Qualitätssprung dar. Der Tag der Veröffentlichung der
italienischen Verfassung, der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte rückte immer
näher. Doch in Italien standen auch politische Wahlen unmittelbar bevor. Sie hätten
aufgrund der Bildung der Demokratischen Volksfront Italien dem Kommunismus ausliefern
können, der im Schatten der großen sowjetischen Schirmherrschaft, die sich vom Osten her
in Europa ausbreitete, immer stärker wurde.
Im
Verlag Longanesi erschien in Italien ein Buch des hohen sowjetischen Funktionärs Victor
A. Krawtschenko, Ich habe die Freiheit gewählt, das unter Bezugnahme auf die Ereignisse
von 1944 die Verbrechen des sowjetischen Kommunismus aufdeckte. Die Veröffentlichung des
Buchs ging in Italien jedoch im Cippico-Skandal (nach dem Namen eines Kardinals, der in
den Finanzskandal verwickelt war) unter, den man mit hartnäckiger Boshaftigkeit
manipulierte, um die Kirche in ein schlechtes Licht zu stellen.
Wir
blieben jedoch nicht untätig. Die Botschaft des Papstes, zur Handlung überzugehen,
nahmen wir entsprechend wörtlich. Drei Monate vor den Wahlen entstand am 8. Februar
offiziell ein Bürgerausschuß mit einer kurzfristigen und einer längerfristigen Aufgabe.
Die kurzfristige Aufgabe war, die Italiener zu mobilisieren, um die bevorstehenden Wahlen
zu gewinnen. Die längerfristige bestand in der Bemühung um eine Lösung der
schwerwiegenden Fragen in der Wirtschaft (zwei Millionen Arbeitslose, die Krise in der
Landwirtschaft und in der Industrie, die wirtschaftliche Abhängigkeit Italiens vom
Ausland), der Politik (die Gleichgültigkeit der Mehrheit der Bevölkerung gegenüber der
strengen Organisation der marxistischen Parteien) und der Sittlichkeit (die Krise der
traditionellen Werte wie Familie, Schule, Gesundheit, usw.), die Italien damals zu
bewältigen hatte.
Mit
außerordentlicher Schnelligkeit, die insbesondere den Männern der Katholischen Aktion zu
verdanken ist, entstanden aus dem zentralen Bürgerausschuß die Ausschüsse der
Stadtviertel und in fast jeder Pfarrei örtliche Bürgerausschüsse. Sie wurden von Rom
aus durch klare und sichere Direktiven geführt, mit vielfältigem Werbematerial
ausgestattet und mit großer Fachlichkeit geschult, um mit Überzeugungskraft wirken zu
können. Wer heute über einige unvermeidliche Auswüchse in der mündlichen und
schriftlichen Propaganda spottet, täte gut daran, auch die Propaganda der Gegenseite
unter die Lupe zu nehmen. Eines ist jedenfalls klar: Damals stand die Freiheit auf dem
Spiel. Das Jahr 1948 nur vor dem Hintergrund des Slogans Lepanto 1948" oder der
Madonna Pellegrina, die außerdem eine sehr beliebte Äußerung des Glaubens war, zu
betrachten, stellt eine Vereinfachung dar und ist nicht nur verwerflich, sondern auch
nicht gerade geistreich angesichts der Notwendigkeit und Dringlichkeit, die Freiheit zu
retten.
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Der
Papst verheimlichte in seiner Botschaft an die Einwohner von Rom zwanzig Tage vor den
Wahlen (28. März 1948), die die kommunistischen und antiklerikalen Kreise sofort als
ungebührende Einmischung verwarfen, in der Tat nicht seine ernste Sorge über die
Wahlkampagne und den Ausgang der bevorstehenden Wahlen in Italien. Das Beharren des
Papstes auf der Wiedergewinnung des christlichen Bewußtseins" deckte sich mit
der Linie, die die Bürgerausschüsse während des Wahlkampfes mit vollem Einsatz
verfolgten. Liest man heute diese Botschaft, so wundert einen der Realismus, mit dem der
Papst über die Kirche sprach. Er anerkannte die Verfehlungen einiger entarteter
Glieder, die er als erster beklagte, tadelte und streng bestrafte".
Der
Ausgang der Wahlen ist bekannt, und - wie in La Civiltà Cattolica vom 1. Mai zu lesen war
- niemand konnte den entscheidenden Beitrag der Bürgerausschüsse leugnen, der zum
haushohen Wahlsieg der Democrazia cristiana führte.
Ich
bewahre noch heute als dankbares Andenken die Uhr auf, die Alcide De Gasperi Professor
Luigi Gedda und mir als Zeichen der Dankbarkeit übersandt hat. Auf der Rückseite der Uhr
ist die Inschrift zu lesen: 18. April 1948." Zusammen mit dem Geschenk erhielt
ich unter dem 20. April ein Begleitschreiben von Giulio Andreotti, dem damaligen
Untersekretär des Ministerrats.
Zwei
Tage nach dem 18. April empfing Pius XII. die Vertreter der drei großen
Nachrichtenagenturen und sprach, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, Worte, die, wenn
man sie nach fünfzig Jahren wieder liest, einen unverwechselbaren prophetischen Unterton
besaßen: Ihr habt soeben ein denkwürdiges Ereignis erlebt, das in die Geschichte
eingehen wird. Das ganze Volk hat einen Beweis für sein bürgerliches Pflichtbewußtsein
geliefert, und der Himmel strahlt über Italien wegen der Hoffnung auf jene Ruhe und
Ordnung, die den materiellen und moralischen Aufbau ermöglichen und beschleunigen werden
können, der so nötig ist, weil allen, insbesondere den Arbeitern und Arbeitslosen,
Gerechtigkeit zuteil werden muß. Doch dieses Ereignis hat ebenso das Vertrauen Europas,
ja der ganzen Welt, gestärkt. Botschaften, die Wir von allen Kontinenten erhalten, sagen
Uns, daß Unsere Kinder gemeinsam und spontan in dieser entscheidenden Stunde an den
unendlichen Gott, den Lenker aller Nationen, ihr Gebet gerichtet und seinen Beistand für
die Verteidigung der Sache gegen Irrtum und Ungerechtigkeit erfleht haben. In ähnlicher
Weise wendet sich auch Unser väterliches und vom Anblick so vieler, die in ihrem Egoismus
oder in ihrer Blindheit hartnäckig jenem Weg folgen, der nur zu einer geistigen und
materiellen Katastrophe führen kann, betrübtes Herz an Ihn. Gott möge in seiner
Barmherzigkeit und Liebe, ihren Geist erleuchten, damit sie ihren Irrtum einsehen. Er
möge vom Angesicht der Erde das Gespinst des Mißtrauens oder, was noch schlimmer ist,
des Konflikts hinwegnehmen. Möge Gott - wenn die Menschen seinen Wunsch, ihnen zu Hilfe
zu kommen, doch demütig erkennten! - möge Gott es geben, daß eine hochherzige und
brüderliche Zusammenarbeit zu einem wahren, sicheren und dauerhaften Frieden
führt."
Hinter
diesen Worten verbergen sich die tragische Wirklichkeit der Verfolgung der Kirche in den
Ländern von Osteuropa, das Ende der Freiheit in der Tschechoslowakei, die Vorahnung der
sogar ungehörigen Reaktionen vieler hoher italienischer kommunistischer Vertreter
unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Diese Reaktionen brachten ans Licht,
welche Haltung sie in der Frage der Religionsfreiheit eingenommen hätten, hätten sie die
Wahlen gewonnen - ganz abgesehen von den innen- und außenpolitischen Folgen.
Wer
dennoch den Einsatz der Bürgerausschüsse als eine Art katholischen Kreuzzug des einen
Blocks gegen den anderen betrachtet, irrt. Denn er vergißt, daß mutige Initiativen auch
in den eigenen Reihen, wo sie entstanden sind und sich entfaltet haben, auf
Schwierigkeiten stießen.
In
Wirklichkeit waren auch in kirchlichen Kreisen Angst und Mißtrauen vorhanden, und man
schlug sogar vor, die Bürgerausschüsse nach den Wahlen aufzulösen. Man befürchtete,
ihre Aktivitäten könnten der Natur und Zielsetzung der Katholischen Aktion
widersprechen. Betonte man das Adjektiv katholisch" zu sehr, neigte man
gleichzeitig dazu, das Substantiv Aktion" in den Schatten zu stellen, das
hingegen, wenn man genau hinschaut, die Seele des Laienapostolats ist.
Zu
denken gibt, welche Bedeutung ihr Johannes Paul II. viele Jahre später in seiner
Enzyklika Evangelium vitae beimißt, wenn er schreibt, daß die Gläubigen, sogar
wenn sie aktiv am kirchlichen Leben teilhaben, allzuoft in einen gewissen Zwiespalt
zwischen dem christlichen Glauben und seinen ethischen Forderungen geraten... und so zu
einem moralischen Subjektivismus und zu manch unannehmbaren Verhaltensweisen
gelangen".
Die
Frage bestand nicht im Fortbestand der Bürgerausschüsse, sondern vielmehr in der Pflicht
der Katholiken zu ernsthaftem und mutigem politischen Handeln.
Pius
XII. hat dies verstanden, wenn er in seiner Ansprache vom 3. Mai 1951 sagt: Die
Katholische Aktion soll keine parteipolitische Kraft sein", und hinzufügt: Die
katholischen Bürger dürfen sich als solche sehr wohl in einer Vereinigung zur
politischen Aktivität zusammenschließen". Diese Vereinigung sollte und durfte aber
weder die politische Einheit der Katholiken schädigen noch der Versuchung erliegen, sich
als Konkurrenz zur Democrazia cristiana zu begreifen. Und der Beweis für ein Engagement
in diesem Sinn sind die Kommunalwahlen von Rom im Jahr 1956, als das katholische
Verbandswesen noch einmal entscheidend dazu beitrug, den Einzug der Linken ins Kapitol zu
verhindern.
Wie
Pius XII. selbst erklärte, war er der festen und begründeten Überzeugung, daß Rom,
geistig und moralisch gesprochen, wie Titus Livius schrieb, caput orbis
terrarum" ist und nicht, wie Tacitus es beklagte, der Abschaum aller
Bosheit". Worauf es letztlich ankam, war die Verteidigung der Freiheit. Das war ihre
Sendung, und das hatten sie auch begriffen. Sie waren ihre verständigen und mutigen
Verfechter, katholische Politiker, die man eigentlich alle aufzählen müßte. Ich will
hier, weil es unter uns Gewohnheit ist und weil ich es ihnen schuldig bin, nur einige
Persönlichkeiten nennen: Alcide De Gasperi, Giulio Andreotti, Guido Gonella, Aldo Moro,
Attilio Piccioni, Amintore Fanfani, Giorgio La Pira, Giuseppe Dossetti und die
Gewerkschaftsführer Achille Grandi und Giulio Pastore - Persönlichkeiten, die ihre
politische Tätigkeit zu einem wahren Apostolat machten und Weisungen und Ziele durch ihre
Zugehörigkeit zur Katholischen Aktion, zur katholischen italienischen Studentenbewegung,
zur Bewegung der katholischen Akademiker und zu den christlichen Arbeiterverbänden
erhielten.
Die
Vorsehung hat es gewollt, daß ich in meinem Priester- und Bischofsamt sowohl Pius XII.
als auch Johannes Paul II. zur Seite stand. Blicke ich auf die fünfzig Jahre seit dem 18.
April 1948 zurück, so erkenne ich eine unglaubliche Ähnlichkeit zwischen den beiden
Päpsten in ihrem Kampf gegen den kommunistischen Materialismus und gegen den
uneingeschränkten Kapitalismus sowie in ihrem heldenmütigen Einsatz zur Verteidigung und
Förderung der Menschenrechte und insbesondere der Freiheit. Wer die Ansprache von Pius
XII. 1943 an Pfingsten vor über zwanzigtausend Arbeitern, die aus ganz Italien in den
vatikanischen Hof Belvedere gekommen waren, um ihm zum Abschluß seines Jubiläums die
Ehre zu erweisen, liest, der entdeckt eine Vorahnung, die erklärt, warum die Texte des
Zweiten Vatikanischen Konzils ihn am meisten zitieren und sein Lehramt mit unerwarteter
Klarheit alle späteren päpstlichen Verlautbarungen zur sozialen Frage vorweggenommen
hat.
Der 18.
April war nur ein Einsatzgebiet Pius' XII. und der Kirche in ihrer unverzichtbaren
Pflicht, die Freiheit zu verteidigen. Wollt man es zum einzigen Verständnisschlüssel
machen, so wäre dies verkürzend, insofern sich diese Episode, wenn wir sie so nennen
wollen, in die Universalität und Gesamtheit der ewigen Sendung der Kirche einfügt.
Nachdem die Mitglieder der Katholischen Aktion mit Hochherzigkeit und Mut diese Aufgabe am
18. April 1948 erfüllt hatten, kämpften sie auch weiterhin zur Verteidigung der Freiheit
in der Gerechtigkeit und lieferten zwei Jahre später einen weiteren Beweis dafür, als
1950 dreißigtausend Gewerkschaftsführer, Assesoren und Berater der Kommunen aus ganz
Italien im Heiligen Jahr nach Rom pilgerten, als sie Pius XII., dem Bischof von Rom, zwei
Jahre später zum dreißigjährigen Bestehen ihrer Union die Kirche zum heiligen Leo dem
Großen schenkten. In nur zehn Monaten war diese Kirche im volkstümlichen Viertel
Prenestino errichtet worden - eine Kirche und Pfarrei, die dem Papst geweiht wurde, der
Eutyches, Attila und Geiserich Einhalt geboten hatte. Pius XII. wollte die Kirchweihe
persönlich vornehmen, weil er sich bewußt war, welch besondere Nähe ihn mit seinem
mutigen Vorgänger verband. Der Grundstein stammt aus dem Felsen der Cima Grappa, Symbol
für das bürgerliche und religiösen Erbe unseres Landes und Mahnung, nie zu vergessen,
daß die Freiheit nicht nur ein Recht der Kirche, sondern eine unverzichtbare Pflicht ist.